Leseprobe aus: Isabel Allende, Der unendliche Plan





Der folgende Ausschnitt stammt von den letzten Seiten des Buches. Der Leser erwartet vielleicht, daß Gregory, die Hauptfigur, letztendlich zu Carmen (die sich Tamar nennt), mit der er wie eine Schwester aufgewachsen ist, und die ihm zeit seines Lebens die wichtigste Bezugsperson geblieben ist, zu einer Lebens- und Liebesgemeinschaft findet. Aber, wie Carmen sagt: 'der ist noch nicht fertig für die Liebe'. Sie kehrt zu Leo Galupi zurück, den sie Jahre früher in Vietnam kennengelernt hat, und der ihr, die ein ähnlich bewegtes Leben wie Gregory geführt hat, nie aus dem Sinn gegangen ist.

(S. 440 ff.)






"Findest du, daß ich alt aussehe, Mama?"

"Älter als im vergangenen Jahr, aber jünger als im nächsten, so Gott will", antwortete Inmaculada.

"Weißt du, daß ich Großmutter sein könnte? Das Leben vergeht wie im Fluge."

"In deinem Alter vergeht es rasch, Tochter, man denkt, man wird ewig leben. In meinem Alter lösen sich die Stunden in nichts auf, ich merke nicht einmal, wie ich sie verschwende."

"Glaubst du, daß sich noch mal jemand in mich verlieben! könnte?"

"Frag lieber, ob du dich verlieben kannst. Das Glück, das man erlebt, geht aus der Liebe hervor, die man gibt."

"Ich glaube bestimmt, daß ich mich verlieben kann."

"Das freut mich, denn ich werde bald sterben, und Dai wird fortgehen, das ist ganz normal. Du darfst nicht allein bleiben. Ich hab es schon satt, dir immer wieder zu sagen, daß du heiraten sollst."

"Aber wen, Mama?"

"Gregory Reeves natürlich, der Junge ist besser als alle deine Liebhaber, die ich kennengelernt habe, was allerdings nicht viel sagen will. Es ist doch wirklich unglaublich, was für einen schlechten Blick du für Männer hast!"

"Gregory ist mein Bruder, wenn wir heirateten, wäre das Blutschande."

"Ein Jammer. Dann such dir einen in deinem Alter, ich versteh sowieso nicht, weshalb du mit Typen rumziehst, die jünger sind als du."

"Das ist keine schlechte Idee, Mama", entgegnete Carmen mit einem spitzbübischen Grinsen, das ihre Mutter ein wenig beunruhigte. Drei Wochen später kündigte sie zu Hause an, daß sie nach Rom fahren werde, um einen Mann zu suchen. Durch einen Privatdetektiv hatte sie Leo Galupi im weiten Universum ausfindig gemacht, eine verhältnismäßig leichte Aufgabe, denn sein Name stand in hervorgehobenen Lettern im Telefonbuch von Chicago. Nach dem Ende des Krieges war er so arm, wie er gewesen war, an seinen Ausgangspunkt zurückgekehrt, er hatte alles Geld verloren, das er mit seinen anrüchigen Geschäften verdient hatte, aber er war reich an Erfahrungen heimgekommen. Die Jahre, die er Handel treibend in Asien verbrachte, hatten seinen Geschmack verfeinert, er wußte viel über Kunst und hatte gute Beziehungen, also gab er dem Unternehmen seiner Träume Gestalt. Er eröffnete eine Galerie mit asiatischen Kunstgegenständen und hatte damit so großen Erfolg, daß er nach zehn Jahren eine Zweigstelle in New York und eine in Rom besaß, wo er den größten Teil des Jahres lebte.

Der Detektiv berichtete Carmen, daß Galupi Junggeselle geblieben war, und zeigte ihr eine Serie mit Teleobjektiv aufgenommener Fotos, auf denen er weiß gekleidet eine Straße entlangging, in ein Auto stieg oder auf den Treppenstufen der Piazza di Spagna ein Eis aß, auf demselben Platz, auf dem sie oft gesessen hatte, wenn sie nach Rom kam, um ihre "Tamar"-Läden zu besuchen. Als sie ihn sah, tat ihr Herz einen Sprung. Sie hatte seine Züge vergessen, im Grunde hatte sie nicht einmal viel an ihn gedacht, aber angesichts dieser etwas unscharfen Bilder fühlte sie die Sehnsucht wie eine Welle aufsteigen, und sie entdeckte, daß ihre Erinnerung an ihn in einem geheimen Winkel des Gedächtnisses wohl bewahrt war. Am besten packe ich die Sache gleich an, ich habe viel zu tun, entschied sie.

Nun folgten aufregende Tage, in denen sie ihre Reise vorbereitete, die sich so sehr von den anderen unterschied, in gewissem Sinne handelte es sich um eine Mission auf Leben oder Tod, sagte sie zu ihrer Mutter, als diese sie zwischen dem auf dem Boden ausgebreiteten Inhalt ihrer Schränke überraschte, wie sie in einem Wirbel erwartungsvoller Koketterie Kleider anprobierte. Als sie in den Werkstätten und im Haus alle Angelegenheiten geregelt hatte, ließ sie sich ärztlich untersuchen, färbte sich die weißen Haarsträhnen und kaufte seidene Unterwäsche. Mit schonungsloser Aufmerksamkeit musterte sie sich in dem großen Spiegel im Badezimmer, zählte ihre Falten und bedauerte nun, daß sie nie ihren Körper trainiert hatte und daß sie so gern in Unmengen kondensierte Milch naschte, womit sie seit Jahren ihre Diät zunichte machte. Sie kniff sich in Arme und Beine und erkannte, daß sie nicht mehr allzu fest waren, sie versuchte, den Bauch einzuziehen, aber da gab es eine rebellische Falte, sie betrachtete ihre Hände, die von der Arbeit mit Metallen ruiniert waren, und die Brüste, die ihr immer wie eine fremde Last zu schwer gewesen waren. Das war nicht mehr derselbe Körper wie zu der Zeit, als Leo Galupi sie gekannt hatte, aber sie entschied, daß die Überprüfung ihrer Reize gar nicht so übel ausgefallen war, wenigstens habe ich keine Krampfadern und keinen Schwangerschaftsstreifen, sagte sie sich, ohne daran zu denken, daß sie ja nicht Dais Mutter war und nie geboren hatte.

Als sie alles geordnet hatte, ging sie mit Gregory essen, dem sie vorher nichts von ihren Plänen hatte sagen mögen, weil sie befürchtet hatte, er könnte sie für verrückt halten. Anfangs schüchtern, aber dann mehr und mehr begeistert erzählte sie ihm, was sie über Leo Galupi herausbekommen hatte, und zeigte ihm die Fotos. Sie erlebte eine Überraschung: Ihr Freund fand es ganz natürlich, daß sie in einem plötzlichen Impuls eine Reise nach Europa unternehmen wollte, um einem Mann einen Heiratsantrag zu machen, den sie länger als ein Jahrzehnt nicht; mehr gesehen und mit dem sie nie über Liebe gesprochen hatte. Das schien ihm so zu Carmens Charakter zu passen, daß er fragte, weshalb sie das nicht schon früher getan hatte.

"Ich war ausgiebig damit beschäftigt, Dai aufzuziehen, aber jetzt ist mein Sohn groß und braucht mich nicht mehr so sehr."

"Du kannst natürlich einen Reinfall erleben."

"Ich werde ihn sorgfältig unter die Lupe nehmen, bevor ich mich festlege. Das macht mir keine Sorgen ... aber vielleicht gefalle ich ihm nicht, Greg, ich bin wirklich sehr viel älter geworden."

"Dann schau dir doch die Fotos an, Mädchen. An ihm sind die Jahre auch nicht gerade spurlos vorübergegangen", sagte Gregory und legte die Fotos vor sie hin, und da bemerkte sie zum erstenmal, daß Leo Galupi an Haaren verloren, aber an Gewicht zugenommen hatte. Sie lachte fröhlich und beschloß, statt ihm zu schreiben oder ihn anzurufen, wie sie vorgehabt hatte, würde sie ihn einfach besuchen, um die Täuschungen der Einbildungskraft auszuschließen und sofort zu wissen, ob ihr ungewöhnliches Vorhaben eine Grundlage hatte.

Drei Tage später stand Carmen in Galupis Kunstgalerie in Rom, wohin sie geradewegs vom Flughafen aus gefahren war, ihre Koffer warteten im Taxi. Sie hatte gebetet, daß sie ihn antreffen möge, und diesmal gingen ihre Gebete in Erfüllung. Als sie den Raum betrat, erblickte sie Leo Galupi, der in Hose, zerknittertem Leinenhemd und ohne Strümpfe die Einzelheiten für den nächsten Katalog mit einem jungen Mann besprach, der genauso nachlässig gekleidet war. Zwischen Wandteppichen aus Indien, Elfenbein aus China, Holzschnitzereien aus Nepal, Porzellan und Bronzen aus Japan und vielen anderen exotischen Gegenständen schien Carmen ein Teil der Ausstellung zu sein in ihren bunten Zigeunerröcken und dem zarten Schimmer ihres Schmucks aus altem Silber. Als Leo Galupi sie sah, fiel ihm der Katalog aus den Händen, und er starrte sie an wie eine Erscheinung, von der er oft geträumt hatte. Sie dachte, dieser unwahrscheinliche Bräutigam hätte sie nicht erkannt, wie sie befürchtet hatte.

"Ich bin Tamar ... erinnerst du dich an mich?" fragte sie und kam zögernd näher.

"Wie sollte ich mich wohl an dich nicht erinnern!" Damit ergriff er ihre Hand und schüttelte sie eine ganze Weile, bis ihm das Lächerliche dieser Begrüßung bewußt wurde und er sie in die Arme schloß.

"Ich komme, um dich zu fragen, ob du mich heiraten willst", platzte Carmen stammelnd und sich fast verschluckend heraus, denn so hatte sie das eigentlich nicht geplant, und noch während sie sprach, hätte sie sich ohrfeigen mögen, daß sie schon mit dem zweiten Satz alles verdarb.

"Ich weiß nicht", war alles, was ihm zu sagen einfiel, als ihm die Stimme wieder gehorchte, und dann sahen sie sich eine ganze Weile verdutzt an, während der junge Mann sich geräuschlos verzog.

"Bist du in irgendwen verliebt?" stotterte sie und fand sich immer idiotischer, aber sie konnte sich einfach nicht mehr an ihre bis ins Detail ausgearbeitete Strategie erinnern.

"Gegenwärtig nicht, glaube ich."

"Bist du homosexuell?"

"Nein."

"Gehn wir einen Kaffee trinken? Ich bin ein bißchen müde, es ist eine lange Reise ..."

Leo Galupi führte sie am Arm auf die Straße, wo die strahlende Sommersonne, die wimmelnde Menschenmenge und der Verkehrslärm den beiden das Gefühl für die Gegenwart zurückgaben. In der Galerie waren sie in die Zeiten von Saigon zurückversetzt gewesen, in das Gemach der chinesischen Kaiserin, das er für sie eingerichtet hatte und wo er nachts so oft durch die Ritzen des Wandschirms gespäht hatte, um sie schlafen zu sehen. Als sie damals voneinander Abschied nahmen, hatte Galupi zum erstenmal in seinem Leben als Weltenbummler den Biß der Einsamkeit gespürt, aber er hatte das nicht zugeben wollen, er hatte sich mit sturer Gleichgültigkeit gepanzert und sich Hals über Kopf in seine Geschäfte und Reisen gestürzt. Mit der Zeit verflüchtigte sich die Versuchung, ihr zu schreiben, und er gewöhnte sich an das süße, traurige Gefühl, das der Gedanke an sie in ihm weckte.

Seine Erinnerung diente ihm als Schutz gegen den Reiz anderer Lieben, eine Art Versicherung gegen romantische Verstrickungen. Als ganz junger Mensch hatte er beschlossen, sich an nichts und an niemanden zu binden, er war kein Familienmensch und kein Mann weitreichender Verpflichtungen, er betrachtete sich als Einzelgänger, der unfähig war, die Alltagslangeweile oder die Forderungen des Ehelebens zu ertragen. Mehrmals war er einer allzu heftigen Beziehung entschlüpft, indem er der erbosten Lady erklärte, er könne sie nicht lieben, weil in seinem Leben nur für eine einzige Liebe Platz sei, die zu einer Frau namens Tamar. Aus diesem oftmals wiederholten Alibi war schließlich so etwas wie eine paradoxe Gewißheit für ihn geworden. Er ging seinen Gefühlen nicht auf den Grund, weil ihm seine Freiheit gefiel, und Tamar war nur ein nützliches Phantom, auf das er zurückgriff, wenn er sich aus einer unangenehmen Lage befreien wollte. Und nun, gerade, als er sich sicher glaubte vor den verrückten Streichen des Herzens, tauchte sie auf, um die Lügen einzufordern, die er jahrelang anderen Frauen erzählt hatte. Er konnte kaum glauben, daß sie vor einer halben Stunde in seinen Laden getreten war und ihn unversehens gebeten hatte, sie zu heiraten. Jetzt saß er neben ihr und traute sich nicht, sie anzusehen, während er spürte, wie ihre Augen ihn unverhohlen musterten.

"Verzeih, Leo, ich wollte dich nicht überfahren, so hatte ich das nicht geplant."

"Wie hattest du es denn geplant?" "Ich wollte dich verführen, ich habe mir extra ein Nachthemd aus schwarzer Spitze gekauft."

"Es wird nicht nötig sein, daß du dir soviel Mühe machst", sagte Galupi lachend. "Ich fahre dich jetzt zu mir, damit du ein Bad nehmen und ein Weilchen schlafen kannst, du mußt ja ganz zerschlagen sein. Danach werden wir reden."

"Großartig, das gibt dir Zeit zum Nachdenken", seufzte Carmen, ohne ironisch sein zu wollen.

Galupi lebte in einer ehemaligen Villa, die in mehrere Wohnungen aufgeteilt war. Die seine hatte zur Straße nur ein Fenster, die anderen sahen auf einen kleinen, uralten Garten, in dem das Wasser eines Springbrunnens plätscherte und Kletterpflanzen sich um schadhafte, mit der grünen Patina der Zeit überzogene Statuen rankten. Spät am Abend saßen sie auf der Terrasse, tranken ein Glas Weißwein, bewunderten den Garten, den ein hell leuchtender Mond beschien, atmeten den zarten Duft von wildem Jasmin ein und legten ihre Seelen bloß. Beide hatten zahllose Liebschaften erlebt, hatten Fehlgriffe getan, viele Kehrtwendungen gemacht und fast all die Täuschungsspielchen praktiziert, mit denen sich die Liebenden quälen. Es war erfrischend, mit brutaler Offenheit von sich selbst und seinen Gefühlen zu sprechen, ohne Hintergedanken und ohne jede Taktik. Sie erzählten sich ihr Leben in großen Zügen, sagten einer dem ändern, was sie sich für die Zukunft wünschten, und stellten fest, daß die alte Alchimie, die sie einst zueinander gezogen hatte, noch vorhanden war und daß ein wenig guter Wille genügte, um sie neu zu beleben. l

"Noch vor ein paar Wochen wäre es mir nicht eingefallen, zu heiraten, Leo."

"Und warum hast du an mich gedacht?"

"Weil ich dich nicht vergessen konnte. Ich mag dich, und ich glaube, vor unendlich vielen Jahren hast auch du mich ein bißchen gemocht. Unter allen Männern, die ich gekannt habe, sind nur zwei, die ich gern bei mir hätte, wenn ich traurig bin."

"Und wer ist der andere?" .

"Gregory Reeves, aber der ist noch nicht fertig für die Liebe, und ich habe keine Zeit, darauf zu warten."

"Von welcher Art Liebe sprichst du?"

"Von totaler Liebe, keine Halbheiten. Ich suche einen Gefährten, der mich sehr liebt, mir treu ist, nicht lügt, meine Arbeit respektiert und mich zum Lachen bringt. Das ist viel verlangt, ich weiß, aber ich biete mehr oder weniger das gleiche, und außerdem bin ich bereit zu leben, wo du willst, vorausgesetzt, daß du meinen Sohn und meine Mutter akzeptierst und ich oft reisen kann. Ich bin gesund, komme allein für mich auf und habe nie Depressionen."

"Das hört sich an wie ein Vertrag."

"Es ist einer. Hast du Kinder?"

"Nicht daß ich wüßte, aber ich habe eine italienische Mutter. Das wird ein Problem, sie kann die Frauen nie leiden, die ich ihr vorstelle."

"Kochen kann ich nicht, und ich bin ziemlich simpel im Bett, aber bei mir zu Hause sagen sie, daß es angenehm ist, mit mir zu leben, hauptsächlich, weil sie mich wenig zu sehen bekommen, ich sitze viele Stunden eingeschlossen in meiner Werkstatt. Ich bin nicht allzu lästig ..."

"Dafür bin ich ganz und gar nicht einfach."

"Könntest du nicht wenigstens einen Versuch machen?"

Sie küßten sich zum erstenmal, anfangs tastend, dann neugierig und plötzlich mit der Leidenschaft, die sich in den vielen Jahren aufgespeichert hatte, da sie das Bedürfnis nach Liebe mit banalen Begegnungen hintergingen. Leo Galupi führte diese unvergleichliche Braut in sein Schlafzimmer, einen hohen Raum mit gemalten Nymphen im Stuck der Decke, einem großen Bett und Kissen mit kostbarer alter Stickerei. Ihr drehte sich der Kopf, sie war ein wenig verwirrt und wußte nicht, ob ihr von der langen Reise schwindlig war oder vom Wein, aber sie wünschte das auch gar nicht zu ergründen, sie überließ sich dieser wohligen Mattigkeit und sah nicht die geringste Notwendigkeit, Leo mit ihrem schwarzen Spitzennachthemd zu beeindrucken oder mit Kunstfertigkeiten, die sie von früheren Liebhabern gelernt hatte. Sein Geruch nach gesundem Mann zog sie an, ein sauberer Geruch ohne eine Spur künstlicher Düfte, ein wenig trocken wie der Geruch von Brot oder Holz, und sie steckte die Nase in den Winkel zwischen Hals und Schulter und schnüffelte wie ein Jagdhund auf der Fährte. Gerüche blieben in ihrem Gedächtnis stärker haften als irgendeine andere Erinnerung, und in diesem Augenblick sah sie das Bild einer Nacht in Saigon vor sich, wo sie einander so nahe gewesen waren, daß sie die Spur seines Geruches aufgenommen hatte, ohne zu ahnen, daß er in all den Jahren bei ihr bleiben würde. Sie begann sein Hemd aufzuknöpfen, aber die Knopflöcher waren zu eng, und sie forderte ihn ungeduldig auf, es auszuziehen.

Musik von Saiteninstrumenten kam von weit her und brachte die jahrtausendealte Sinnlichkeit Indiens in dieses römische Zimmer, das im Schein des Mondes und dem zarten Duft von Jasmin gebadet war. Jahrelang hatte sie mit kräftigen jungen Burschen Liebe gemacht, und jetzt strich sie über einen etwas gekrümmten Rücken und ließ die Finger über eine breite Stirn und dünnes Haar gleiten. Sie empfand eine nachsichtige Zärtlichkeit für diesen reifen Mann, und einen Augenblick versuchte sie sich vorzustellen, wieviel Wege er zurückgelegt und wieviel Frauen er gehabt haben mochte, aber plötzlich erlag sie dem Vergnügen, ihn zu umarmen, ohne zu denken. Sie fühlte, wie seine Hände ihr die Bluse, den weiten Rock, die Sandalen auszogen und vor den Armbändern stockten. Niemals legte sie die ab, sie waren ihr letzter Panzer, aber sie fand, jetzt sei der Augenblick gekommen, ganz nackt zu sein, und sie setzte sich im Bett auf, um sie eines nach dem anderen abzustreifen. Lautlos fielen sie auf den Teppich.

Leo liebkoste sie mit erkundenden Küssen und kundigen Händen, fuhr mit der Zunge über die noch festen Brustwarzen, in die Ohrmuscheln und über das Innere der Schenkel, die bei der Berührung erzitterten, während ihr die Luft dichter zu werden schien und sie keuchte in der Anstrengung, Atem zu holen. Ein heißes Drängen bemächtigte sich ihres Unterleibs, ihre HüfteL wogten, sie stöhnte auf, und dann konnte sie nicht länger warten, sie warf ihn auf den Rücken und setzte sich auf ihn wie eine entzückte Amazone, klammerte sich fest, daß er sich zwischen ihren Beinen und den zerwühlten Kissen nicht bewegen konnte. Ungeduld oder Müdigkeit machten sie ungeschickt, suchend wand sie sich auf ihm, aber er entglitschte ihr in der Feuchtigkeit der Lust und dem Schweiß der Sommerschwüle, und schließlich mußte sie lachen und sank über ihm zusammen und erdrückte ihn mit dem Geschenk ihrer Brüste, verwickelte ihn in das Gewirr ihrer aufgelösten Haare und gab ihm Weisungen auf spanisch, die er nicht verstand. So blieben sie eine Weile umarmt, lachten, küßten sich, murmelten Torheiten in einem heillosen Sprachgemisch, bis das Verlangen überhandnahm und Leo Galupi diese Balgerei ausgelassener junger Tiere nutzte und ohne Eile und beharrlich in sie eindrang, bei jeder Station des Weges innehielt und auf sie wartete und sie bis in die letzten Gärten führte, wo er ihr allein die Erkundung überließ, und dann fühlte sie, wie sie durch einen dunklen Abgrund ging, und eine glückliche Explosion erschütterte ihren ganzen Körper. Nun war die Reihe an ihm, während sie ihn liebkoste, dankbar für diesen absoluten, mühelosen Orgasmus. Schließlich schliefen sie zu einem Knäuel aus Armen und Beinen zusammengerollt ein.

In den folgenden Tagen entdeckten sie, daß sie miteinander Spaß hatten, beide auf der gleichen Seite schliefen, beide nicht rauchten, daß ihnen dieselben Bücher, Filme und Speisen gefielen, daß sie auch politisch harmonierten, sich bei Sport langweilten und regelmäßig in exotische Gegenden reisten.

"Ich weiß nicht, ob ich zum Ehemann tauge, Tamar", sagte Leo eines Nachmittags entschuldigend, als sie in einer Trattoria an der Via Veneto saßen. "Ich muß mich frei bewegen können, ich bin ein Vagabund."

"Das gefällt mir ja gerade an dir, ich bin doch genauso. Aber wir sind in einem Alter, in dem uns ein bißchen mehr Ruhe bestimmt guttäte."

"Der Gedanke erschreckt mich."

"Die Liebe braucht ihre Zeit ... Du mußt mir nicht sofort antworten, wir können bis morgen warten", sagte sie lachend.

"Es ist nichts Persönliches, wenn ich mich einmal entschließen werde zu heiraten, dann nur dich, das verspreche ich dir."

"Das ist doch schon etwas."

"Warum können wir nicht besser ein Liebespaar sein?"

"Das ist nicht dasselbe. Ich bin nicht mehr jung genug für Experimente. Ich möchte eine Bindung auf lange Sicht, ich möchte nachts in den Armen eines ständigen Partners schlafen. Glaubst du, ich wäre um die halbe Welt gereist, um dir vorzuschlagen, daß wir ein Liebespaar werden? Es wird sehr hübsch sein, Hand in Hand alt zu werden, du wirst schon sehen", erwiderte Carmen entschieden.

"Entsetzlich!" rief Galupi freimütig und erbleichte.


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