WERNERS BLOG

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  Zeichnung: Wilhelm Busch


Mittwoch,
06. Dezember 2023
Da fällt mir noch eine Ergänzung zum Eintrag von gestern ein: Es gibt ja noch alle die Dinge, die in unserem Land "keinen Platz" haben: Antisemitismus, Gewalt gegen Frauen, Hass gegen Schwule, Terror, Intoleranz ... Immer, wenn mal wieder etwas Derartiges zutage getreten ist, heißt es, dies habe "keinen Platz bei uns".

Kümmert das diejenigen, die sich dieser Untaten schuldig gemacht haben? Natürlich nicht. Aber als Politiker klingt man mit solchen Worten entschlossen und suggeriert, ab sofort habe es ein Ende mit alledem: kein Platz! Weg!

Die Scheußlichkeiten aber bleiben mitten unter uns und haben ihren Platz längst eingenommen, den sie nicht wegen dieser Sprüche räumen werden.
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Dienstag,
05. Dezember 2023
Heute ein Beitrag zur Sprache der Politik:

Wenn Politiker von ihrer Ohnmacht ablenken wollen, verstecken sie sich gern hinter besonders affirmativen Phrasen. Hört man dann aber genau hin, lässt sich die Verunsicherung heraushören.

Jüngstes Beispiel ist Kanzler Scholz, der sich zusammen mit Brasiliens Präsident Lula da Silva "überzeugt" gibt, dass das Mercosur-Abkommen zwischen der EU und den lateinamerikanischen Ländern (an dem seit 23 Jahren herumverhandelt wird) "eine Mehrheit im EU-Rat und dem Europäischen Parlament erhalten werde". Am kommenden Donnerstag findet das entsprechende Gipfeltreffen in Brasilien statt. Dass sowohl Argentinien als auch Frankreich Widerstand angekündigt haben (von verbreitetem zivilgesellschaftlichem Widerstand mal ganz abgesehen) und die Chancen also nicht gut stehen, wird an dieser Stelle nicht erwähnt.

Auch in der katastrophalen Lage in Nahost gibt es "Überzeugungen". So gab sich vor ein paar Tagen die G7 von einer Zwei-Staaten-Lösung "überzeugt", die es Israelis und Palästinensern "ermögliche, unter einem gerechten, langanhaltenden und sicheren Frieden zu leben". Träum weiter, möchte man sagen.

Was ich von einer Zwei-Staaten-Lösung halte, habe ich bereits vor sieben Jahren in diesem Blog geschrieben. Ganz abgesehen davon, dass eine vernünftige Grenzziehung völlig unmöglich erscheint, würde die gegenseitige Angst voreinander die Menschen in diesen beiden Staaten nie zur Ruhe kommen lassen. Bis an die Zähne bewaffnet, würden sie sich permanent gegenseitig belauern – die einen mit den USA im Rücken, die anderen mit – Russland vielleicht?

Zwei Staaten sind allenfalls als Zwischenschritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen Staatswesen auf dem Gebiet des heutigen Israel und des Palästinensergebiets (Gaza und Westjordanland) denkbar. Allerdings wird das weder mit der Hamas (die auf jeden Falll verschwinden muss) noch mit den Rechtsradikalen in Israel möglich sein.

Dass die Ein-Staaten-Lösung eine noch größere Illusion ist als die Zwei-Staaten-Lösung, ist mir bewusst. Deshalb sage ich auch nicht, dass ich von ihr "überzeugt" bin.

Weiteres Beispiel: Als Bundespräsident Steinmeier vor kurzem in Katar war, um mit dem Emir al-Thani über die Freilassung der Geiseln zu sprechen, sagte er nach dem Gespräch, er "sei sich sicher, dass die Führung in Doha alles unternehmen werde, um dazu beizutragen".

Wir lernen: Geben sich Politiker von etwas "überzeugt" oder sind sie sich "sicher", bedeutet das eher das Gegenteil, es ist nichts anderes als das Pfeifen im dunklen Wald.

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Sonntag,
19. November 2023
Zitate aus dem "Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares" von Fernando Pessoa

(Texte 50 und 86)



Die Schönheit eines nackten Körpers wissen nur Kulturen zu würdigen, in denen man Kleider trägt. Scham wirkt auf die Sinnlichkeit wie ein Widerstand auf die Energie.
Die Künstlichkeit verhilft zum Genuß der Natürlichkeit. Was ich genossen habe an diesen weiten Gefilden, habe ich genossen, weil ich nicht hier lebe. Die Freiheit spürt nicht, wer nie unter Zwang gelebt hat.
Die Zivilisation erzieht uns für die Natur. Das Künstliche ist der Weg zur Würdigung des Natürlichen.
(aus Text Nr. 50)
Ich frage mich, ob im Leben nicht alles auf Degeneration beruht. Ob das Sein nicht lediglich eine Annäherung ist – Ein Vorher oder ein Drumherum.
So wie das Christentum nur eine Degenerationserscheinung eines aus der Art geschlagenen Neuplatonismus, eine Judaisierung des Hellenismus durch das Römische war, so ist unsere Epoche – senil und krebserzeugend – ein einziges Abweichen von allen großen Vorhaben, übereinstimmenden wie entgegengesetzten, aus deren Bankrott das Zeitalter erwuchs, das sie selbst zu Fall brachte.
(aus Text Nr. 86)
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Sonntag,
12. November 2023
Vor einiger Zeit habe ich hier die Frage gestellt, ob die CDU vielleicht deswegen auf Bubis als ihre Repräsentanten setzt, um sich dem Reifegrad derjenigen anzupassen, die ihr in den letzten Jahren in Richtung AfD davongelaufen sind. Nun erlebe ich auf einmal eine frappierende Bestätigung meiner Vermutung.

Als Ende Oktober berichtet wurde, dass gegen einen AfD-Politiker, der frisch in den bayerischen Landtag gewählt worden war, Haftbefehl wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen erlassen wurde, hat mich das nicht groß verwundert. So etwas gehört schließlich zur DNA dieser Partei.

Heute aber stoße ich bei der (unbedingt empfehlenswerten) Lektüre von Heribert Prantls Wochenrückblick auf ein Foto des besagten Abgeordneten, und siehe da: →

Daniel Halemba, AfD-Abgeordneter im bayerischen Landtag
      Daniel Halemba, AfD-Abgeordneter im bayerischen Landtag

(Foto: Peter Kneffel/dpa, Quelle: sueddeutsche.de)
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Mittwoch,
25. Oktober 2023
Nach Impressionen aus Genua, Venedig und Mailand heute weitere Bilder aus Italien. Dieses Mal ging die Reise nach Triest, Aquileia und Verona. Jede Menge Kultur also.

Triest, nahe der Grenze zu Slowenien und Kroatien, war einst der Seehafen der k.-und k. Vielvölker-Donaumonarchie. Das ist auch heute noch am Baustil, den Kaffeehäusern und den Speisekarten abzulesen.
 
Rathaus von Triest Bistrot und Restaurant "Mimì e Cocotte" Kreuzfahrtkoloss im Triester Hafen Romanische Kirche San Giusto über der Stadt
Rathaus von Triest Bistrot und Restaurant "Mimì e Cocotte" Kreuzfahrtkoloss im Triester Hafen Romanische Kirche San Giusto über der Stadt
   
 
Theatermuseum Kaffeehaus San Marco Romanische Basilika Santa Maria Assunta in Muggia Vecchia Romanische Fresken in Santa Maria Assunta in Muggia Vecchia
Theatermuseum Kaffeehaus San Marco Romanische Basilika Santa Maria Assunta in Muggia Vecchia Romanische Fresken in Santa Maria Assunta
   
 

Aquileia, eine Kleinstadt in Friaul, birgt eine ungewöhnliche Menge an Ruinen aus römischer und romanischer Zeit. Geschichte in Schichten sozusagen, da jede Epoche ihre Bauten auf die Reste ihrer Vorgänger gesetzt hat. Nur ein Teil der antiken Schätze konnte aus diesem Grund bisher zugänglich gemacht werden. Das Archäologische Nationalmuseum gilt als eine der bedeutendsten archäologischen Sammlungen Norditaliens.
   
 
Römisches Fußbodenmosaik, auf das eine spätere Mauer gesetzt wurde Römisches Wandmosaik (Archäologisches Museum) Gläser aus der Römerzeit (Archäologisches Museum) Romanische Basilika Santa Maria Assunta in Aquileia (9.-11.Jh.)
Römisches Fußbodenmosaik, auf das eine spätere Mauer gesetzt wurde Römisches Wandmosaik (Archäologisches Museum) Gläser aus der Römerzeit (Archäologisches Museum) Romanische Basilika Santa Maria Assunta in Aquileia (9.-11.Jh.)
   
 
Krypta der Basilika von Aquileia Geschichte in Schichten: römische Mosaiken auf verschiedenen Ebenen unter der Basilika Basilika Santa Maria Assunta in Aquileia Romanische Fresken in der Apsis der Basilika
Krypta der Basilika von Aquileia Geschichte in Schichten: römische Mosaiken auf verschiedenen Ebenen unter der Basilika Basilika Santa Maria Assunta in Aquileia Romanische Fresken in der Apsis der Basilika
   
 

Verona, als Stadt von Romeo und Julia bekannt geworden, hat neben der Arena aus römischer Zeit auch noch viele andere historische Schätze zu bieten. Am interessantesten sind (unter vielem anderem) vielleicht die Kirche San Zeno Maggiore mit ihren einmaligen romanischen Bronzetüren und der Domkomplex.
   
 
Arena aus dem 1. Jh., beliebt bei deutschen Opernfreunden Romanisches Taufbecken in San Giovanni in Fonte (Domkomplex). Das Becken, 3 Meter breit, ist aus einem einzigen Marmorblock gefertigt. Bronzerelief an der Tür von San Zeno Maggiore: Darstellung einer Teufelsaustreibung (12. Jh.) Die "Ponte Pietra", entstanden um 100 vor Chr.
Arena aus dem 1. Jh., beliebt bei deutschen Opernfreunden Romanisches Taufbecken in San Giovanni in Fonte (Domkomplex). Das Becken, 3 Meter breit, ist aus einem einzigen Marmorblock gefertigt. Bronzerelief an der Tür von San Zeno Maggiore: Darstellung einer Teufelsaustreibung (12. Jh.) Die "Ponte Pietra", entstanden um 100 vor Chr.
   
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Samstag,
7. Oktober 2023
Kleine Hoffnung machende Signale dringen gelegentlich durch den russischen Kriegslärm. Letzte Nacht stand im Liveblog der Tagesschau folgende Meldung als letzte Nachricht des Freitags um 23 Uhr 12:

Nach den russischen Raketenangriffen auf die nordostukrainische Region Charkiw haben Bürger in Moskau an einem Denkmal Blumen für die Opfer niedergelegt. In der Nachbarschaft seien fast alle gelben und blauen Blumen – die Nationalfarben der Ukraine – ausverkauft, zitierte das unabhängige Internetportal Astra eine Augenzeugin.

Auf einem Video sind Blumengebinde am Denkmal Lesja Ukrainka* zu sehen. Die städtischen Behörden räumten die Blumen allerdings immer wieder weg, heißt es. Am Donnerstag und Freitag wurden bei schweren russischen Angriffen Dutzende Zivilisten verletzt und getötet.





*Lesja Ukrainka (Laryssa Petriwna Kossatsch, 1871-1913), ukrainische Dichterin. An ihrem Denkmal in Moskau werden in letzter Zeit im Gedenken an die Kriegsopfer in der Ukraine immer wieder Blumen abgelegt (die die Moskauer Polizei sogleich wieder abräumt).
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Mittwoch,
13. September 2023
Zum Eintrag von vorgestern noch ein Nachtrag:

Ich höre, dass Spanien dem seit 17 Jahren toten Diktator Augusto Pinochet das "Kreuz militärischer Verdienste" aberkennt. Dieser Schritt "zeige den Einsatz Spaniens für die demokratischen Werte".

Dieses Ehrenkreuz war Pinochet 1975 von Francisco Franco verliehen worden, ein Diktator und Verbrecher hat es einem anderen Diktator und Verbrecher um den Hals gehängt. Franco starb noch im Jahr dieser Preisverleihung, also vor 48 Jahren. Und schon setzt man sich für die demokratischen Werte ein. Donnerwetter! Der spanische Franquismo war Vorbild für viele Diktaturen in Lateinamerika, und im Heimatland hat man sich äußerst schwer getan und viel Zeit gelassen, diese Ära aufzuarbeiten (s.a. Wikipedia zum Stichwort Francisco Franco).

Diktatoren und Verbrecher unter sich sehen wir heute auch in fernen Osten Russlands, wo Putin und Kim Jong Un sich brüderlich die Hände reichen. Wer ist dabei wem ein Vorbild? Wer wird dem anderen ein Ehrenkreuz oder ähnlichen Schrott verleihen?

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Montag,
11. September 2023
Das heutige Datum, den 11. September, verbindet man gewöhnlich mit den Flugzeugen, die sich 2001 ins New Yorker World Trade Center gebohrt haben, knapp 3000 Menschen kamen an diesem Tag ums Leben. Aber etwa ebenso viele Menschenleben hat ein anderes Ereignis gefordert, das ebenfalls an einem 11. September seinen Anfang nahm: der Putsch des chilenischen Verteidigungsministers, General Augusto Pinochet im Santiago im Jahr 1973, also vor 50 Jahren.

Es ist viel über diesen Putsch und seine blutigen Folgen geschrieben worden, auch über die Rolle, die andere Staaten, voran die USA, im Hintergrund gespielt haben. Wie sehr auch Deutsche dabei ihre Finger im Spiel hatten, erklärt ein lesenswerter Beitrag auf tagesschau.de vom 3.9.

Insbesondere alte Nazis, wie der ehemalige SS-Standartenführer Walther Rauff, haben - neben der berüchtigten Colonia Dignidad damals eine entscheidende Rolle gespielt. Aus der Colonia wurde mit Hilfe der Deutschen ein Folterzentrum, unterstützt von Franz-Josef Strauß (auch zu diesem Thema gibt es auf tagesschau.de einen ausführlichen Beitrag) und Rauff baute in Chile einen Geheimdienst nach dem Vorbild der Gestapo auf. Auf ihn geht unter anderem das Verschwindenlassen zahlloser Regimegegner zurück. Noch heute ist das Schicksal von über 1400 Menschen ungeklärt. Ein Zeitzeuge nennt Rauff den "Meister der Endlösung" (In Chile sprach man tatsächlich von der Solucion final).

Sich selbst bezeichnete Rauff zynisch als "staatlich geprüften Kriegsverbrecher".
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Montag,
4. September 2023
Wie ich feststelle, ist zum erstenmal seit ich diesen Blog betreibe (d.h. seit September 2015), ein ganzer Kalendermonat vergangen, ohne dass ich einen Eintrag geschrieben habe. Ein gutes Zeichen vielleicht? Schließlich heißt das, dass um mich und in mir so viel anderes Leben stattfindet und mir zum Bloggen kaum Zeit bleibt.

Richtig ist, dass ich mein Schreibprojekt mit Hochdruck vorwärtstreibe: die Biografie von Robert Frost.

*


Beim Stöbern in meinen alten Tagebüchern stoße ich auf einen Traum vom 7. Dezember 1981. Nach langer Zeit also wieder ein Eintrag in die Rubrik "Alte Träume":

Eine Schule (Gymnasium) auf einer Zeitinsel. Befinde mich in einer Schule, unter Schülern, und weiß, daß hier das Jahr 1937 (kurze Schwankungen: so nah am Krieg?) ist. Bemerke die moderne Architektur, eigentlich aus der Jetztzeit. Auch die Schüler und Schülerinnen machen keinen "altmodischen" Eindruck. Ich stelle mir die Schwierigkeiten vor, die beiden Welten zusammenzubringen. Meine Aufgabe ist es auch zunächst, die Schüler nicht merken zu lassen, daß rund um die Schule eine andere Zeit existiert.

Durch die Fenster aber sind Autos von heute zu sehen (kurze Frage: wie war das bis jetzt zu verbergen?) Die Situation wird leicht hektisch, denn jetzt muß die Aufklärung erfolgen. Fühle mich aber nicht als Lehrer an dieser Schule, eher den Schülern gleich. Ich denke an den Zweiten Weltkrieg, der ihrer Zeit nach in Kürze ausbrechen würde, und welches Glück sie hätten, ihm durch einen Schritt aus ihrer Schultür entrinnen zu können.

Das Leid des Krieges fällt mich an. Ich bin in einer Mädchenklasse, versuche, den Krieg darzustellen, bin unter den Schülerinnen, nicht vor ihnen. Ein Mädchen weint, des Krieges wegen, sie hat lange, dunkelblonde Haare, wir umarmen uns, ich weine mit ihr.


Nachsatz im Tagebuch:
Ich denke mir, daß sich aus einer solchen Traumidee eine Geschichte machen ließe.


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Mittwoch,
26. Juli 2023
In Kopenhagen haben Leute – wieder einmal – einen Koran verbrannt. ( siehe die Meldung des Dlf) Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, hat diesen Vorgang völlig zurecht "beleidigend, respektlos und eine eindeutige Provokation" genannt, Äußerungen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundener Intoleranz hätten in der Europäischen Union keinen Platz, sagte er.

Begangen habe diese Idiotie, wie es heißt, eine Gruppe, die sich "Dänische Patrioten" nenne. Diesen offensichtlichen Hör- und Schreibfehler möchte ich an dieser Stelle korrigieren, richtig muss es heißen Dämliche Idioten.
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Samstag,
22. Juli 2023
Manchmal wundere ich mich über deutsche Parteien und Politiker. Zum Beispiel über die CDU und einige ihrer Vertreter. Gerade hat die Partei Carsten Linnemann zu ihrem Generalsekretär gemacht. Das ist eine Position im Rampenlicht, die er erhalten hat, weil er aggressiver und konservativer auftritt als sein Vorgänger Mario Czaja.
Oder über den Vorsitzenden der Landesgruppe Mecklenburg-Vorpommern, Philipp Amthor.

Was ist es, worüber ich mich wundere?

Amthor ist Jahrgang 1992, 29 Jahre alt, und sieht aus wie 16. Linnemann ist Jahrgang 1977, knapp 46 Jahre alt und sieht aus wie 26. Beide scheinen ihr halbwüchsiges Äußeres mit angriffslustigem Auftreten wettmachen zu wollen. Ohne jetzt zu sehr psychologisieren zu wollen und ins Persönliche einzudringen, frage ich mich schon, was diese Partei dazu bringt auf Bubi-Typen zu setzen. Ist das der Politikertyp der Zukunft?

Es war einmal Mode, Fotos von Politikern zu veröffentlichen, die sie in ein zwielichtiges Bild rückten, und zu fragen: "Würden Sie von diesem Menschen einen Gebrauchtwagen kaufen?" Nun, von Amthor oder Linnemann würde man vielleicht noch einen Gebrauchtwagen kaufen, aber ob man sich von ihnen regieren lassen möchte, ist eine andere Frage. Auch im Aussehen drückt sich die Persönlichkeit aus.

 
Carsten Linnemann Philipp Amthor

Carsten Linnemann

(Quelle: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/cdu-ostdeutschland-linnemann-100.html)

Philipp Amthor

(Quelle: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Amthor-und-Kassautzki-So-denken-MVs-juengste-Abgeordnete,jungmachtpolitik136.html)
   
 

Die CDU versucht, die Wähler, die ihr in Richtung AfD davongelaufen sind, wieder zurückzugewinnen. Am besten, sagt sie sich wahrscheinlich, geht das, indem man sich dem Reifegrad dieser Davongelaufenen anpasst.
   
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Sonntag,
16. Juli 2023
Ich höre mit Unbehagen und großem Missfallen, dass der Stadtrat von Kiew ab sofort russischsprachige "Kulturprodukte" verbietet. So meldete es kürzlich der Sender Deutschlandfunk Kultur. Russisch, heißt es, sei die Sprache des Aggressors. Dem Verbot unterliegen Musik, Filme, Theater und Bücher. Betroffen sind auch historische Werke.

Ich halte diese Entscheidung für äußerst unklug (um nicht zu sagen strohdumm). Das ist genau der Weg, wie man Menschengruppen völlig unnötig gegen sich aufbringt und sogar Hass schürt. Hat man in Kiew vergessen, dass es überall in der Ukraine (und, wie ich annehme, auch in der Hauptstadt Kiew) russischsprachige Einwohner gibt? Auch solche, die den Angriffskrieg Russlands verurteilen? Sollen die für ihre Sprache bestraft werden, weil im Nachbarland ein durchgeknallter imperialistischer Diktator regiert?

So baut man Hindernisse für eine Verständigung auf, die zwischen Einwohnern ein und desselben Landes doch auch im Krieg möglich sein müsste. Schlimmstenfalls können solche Aktionen sogar als Vorstufe zu ethnischen Säuberungen interpretiert werden. Man liefert also leichtfertig Putin im Nachhinein eine Rechtfertigung für seine "militärische Spezialoperation".

Ohne die Ukrainer belehren zu wollen, denke ich, man sollte alle Maßnahmen unterlassen, die als bewusste Diskriminierung von Minderheiten aufgefasst werden, wenn man die Sympathien und Unterstützung des Westens nicht riskieren will.

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Donnerstag,
29. Juni 2023
Ungeachtet aller verstörender Nachrichten aus Politik und Krieg erzähle ich mit ein paar Bildern von einem Besuch in Genua, einer Stadt, die ich bis vor kurzem nur aus der Sicht eines auf einer Schnellstraße durch die Stadt eilenden Autos kannte – vor Jahrzehnten.

 
   
 
   
 
   
 
   
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Donnerstag,
8. Juni 2023
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms wird allseits als eine ungeheuerliche Eskalation des Kriegsgeschehens in der Ukraine bezeichnet. Neben dem tatsächlichen Dammbruch ist es auch ein politischer. Die Tat hat etwas von der Verzweiflung eines in die Enge getriebenen wilden Tiers. Die Kriegsverbrecher in der russischen Führung scheinen sich zu sagen: Wenn wir die Ukraine nicht besiegen können – und danach sieht es ja aus – dann werden wir sie zerstören. Nach uns die Sintflut!

Diktatoren reißen, wenn sie ihren Untergang kommen sehen, alles mit in den Abgrund. Kann man die Ereignisse also als Anfang vom Ende betrachten?

Vermutlich noch lange nicht. Noch gibt es sehr viel zu zerstören. Parallelen zu 1945 und dem Ende Hitlers in der Reichskanzlei drängen sich auf. Wird am Ende der Selbstmord Putins stehen?

Aber auf welche weiteren Ungeheuerlichkeiten muss sich die Welt vorher noch gefasst machen?

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Samstag,
27. Mai 2023
Ein köstliches Buch ist mir in die Hände gefallen. Wer Interesse an gut geschriebenem Deutsch hat, sollte unbedingt Die Schlange im Wolfspelz von Michael Maar lesen.124

Das Buch ist ein Streifzug durch die deutschsprachige Literatur aus drei Jahrhunderten. Wann schreibt ein Schriftsteller, eine Schriftstellerin einen guten Stil und warum? Was ist es, das uns an den Texten fasziniert (oder auch nicht)? Die Beispiele werden nicht nur mit größter Sachkenntnis präsentiert und seziert, sondern auch mit viel Humor. Und die Liebe zur Literatur ist der geheime Ghostwriter.

Ein Beispiel aus dem Kapitel über "Beiwörter" (Adjektive und Adverbien), das betitelt ist "Am Beiwort sollt ihr sie erkennen:

Manche sind in dieser Hinsicht erstaunlich furchtlos. Wer sich durch den Heinrich von Ofterdingen auf der Suche nach einem originellen Adjektiv quält, der kann auch in der Sahara nach blauen Blumen suchen. Wo man aufschlägt, ist alles anmuthig, unbeschreiblich, reizend, romantisch, mannigfaltig, himmlisch, ewig; oft nach einem Satz schon wiederholt – nichts, aber auch gar nichts ist gesehen, gehört, individuell empfunden. Für eine Schule des Stils wäre Novalis ein abschreckendes Beispiel.

Aber dann die andern. Streiche die Adjektive bei Stifter oder Keller, bei Proust oder Virginia Woolf, bei Joseph Roth oder Doderer, bei Borchardt oder Thomas Mann, und das Werk ist tot.

Zwei winzige Beispiele. Zum Höhepunkt der Mannschen Joseph-Tetralogie hat Joseph, inzwischen die rechte Hand des Pharaos, seine Brüder, die ihn in den Brunnen geworfen hatten, zu sich nach Ägypten gelockt. Die Brüder haben den hohen Herrn noch nicht erkannt, aber schwummrig ist ihnen schon. Was hat er mit ihnen vor. Sie wissen es nicht. Juda wird zur Rede gestellt und berichtet von den familiären Verhältnissen. Als Joseph hört, daß sein kleiner Bruder, der zarte Benjamin, mittlerweile von zwei Weibern acht Kinder habe, bricht er, ohne die Übersetzung abzuwarten, in lautes Lachen aus. Die ägyptischen Beamten lachen aus Unterwürfigkeit mit. - "Die Brüder lächelten ängstlich." Das "ängstlich" macht die Komik, weil es in Spannung zum Verb steht.

Oder nehmen wir die Erklärung, die Borges davon gibt, warum er dann doch seine fernöstlichen Studien abgebrochen habe. 1916 hatte er mit ihnen begonnen und war dabei auf die englische Übersetzung eines chinesischen Philosophen gestoßen. Der Passus lautete: "Einen zum Tode Verurteilten macht es nichts aus, am Abgrund zu wandern, denn er hat mit dem Leben abgeschlossen." Ein Sternchen am Ende des Satzes verwies den enthusiastischen Leser auf eine Fußnote. Dort wurde ihm mitgeteilt, diese Übersetzung sei unbedingt der eines rivalisierenden Sinologen vorzuziehen, der folgendermaßen übersetzt habe: "Die Diener zerstören die Kunstwerke, um nicht ihre Schönheiten und Mängel beurteilen zu müssen." Da hörte der junge Borges auf zu lesen. "Ein mysteriöser Skeptizismus hatte sich in meine Seele geschlichen." Hier ist es das "mysteriös", was die Komik hervorblitzen läßt oder erst erzeugt.
Anschließend lässt Maar ein Kapitel aus Joseph Roths Hiob versuchsweise von Hemingway überarbeiten, der sämtliche Adjektive streicht. Das Ergebnis spricht für sich. So geht das durch das ganze Buch. Großartig.



124 Michael Maar, Die Schlange im Wolfspelz – Das Geheimnis großer Literatur, Hamburg, Rowohlt Verlag 2020
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Freitag,
5. Mai 2023
Die alten Tagebücher (71)

26. Oktober 1981

Der folgende Eintrag (der eine Woche vor dem zuletzt vorgestellten liegt) ist der erste in dem Tagebuch mit der laufenden Nummer 5, das vom 26. Oktober 1981 bis zum 5. Februar 1984 reicht. Es beginnt mit Reflexionen über die alte Sehnsucht zu "schreiben".

Der Übergang vom alten zum neuen Tagebuch geht diesmal nicht mit einer Veränderung meiner Lebenssituation einher wie beim vorletzten Mal, als meine Zeit in Bardou zu Ende war, oder beim letzten Mal, als wir nach unserer Reise wieder nach München gekommen waren.

Ich habe gerade die paar Seiten meines vor-vorletzten Tagebuchs wieder gelesen, die den Abschluss bildeten und die den Versuch darstellten, einen Augenblick meiner Wanderung in den Monts de l'Espinouse literarisch festzuhalten. Ich war erstaunt über eine gewisse Qualität meines Geschriebenen. Es ist mir eigentlich noch nie so gegangen, daß mich von mir Geschriebenes nach längerer Zeit beeindruckt hätte. Aus diesen Seiten aber kann ich die Konzentration herauslesen, mit der ich daran gearbeitet habe und die Intensität der Gefühle nachempfinden.

Ich werde versuchen müssen, da wieder anzuknüpfen. Interessant ist für mich, daß ich offensichtlich von Zeit zu Zeit schon mal schreiben konnte, zwar nur ein paar Seiten, noch mit einigen stilistischen Unebenheiten, aber die kann man ja redigieren. Immerhin.

Je umfangreicher meine Tagebücher werden, desto mehr lerne ich ihren Wert zu schätzen. Ich muß dem Schreiben nicht bloß ständig nachlaufen, es vor mir vermuten, es findet sich auch schon gelegentlich in der - festgehaltenen - Vergangenheit.

Seit ich hier im Haus lebe, haben meine Tagebuchnotizen eine möglicherweise kleinkariert erscheinende Alltäglichkeit angenommen: Die Arbeit im Garten, die Hühner, der Ausbau des Hauses. Welchen Wert diese Aufzeichnugnen für mich haben werden und ob sie überhaupt einen haben, kann ich zur Zeit unmöglich beurteilen, und darum werde ich auch solange damit fortfahren, bis mir Besseres einfällt. Und wenn unter 50 Seiten Geschreibsel 5 Zeilen Literatur (Schreiben) sein sollten, dann ist das schon ein Gewinn für mich.
(...)

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Freitag,
14. April 2023
Das bevorstehende Datum des Atomausstiegs in Deutschland (morgen!) ruft zum Schluss noch einmal diejenigen auf den Plan, die Atomenergie als eine tolle Sache ansehen. So behauptet etwa Markus Söder in Bayern, "die Entscheidung der Ampel-Regierung sei ideologisch und setze sich über den Willen der Bevölkerung hinweg" (siehe Bericht im DLF).

Überhaupt ist "ideologisch" ein sehr beliebtes Argument aller konservativen und liberalen Kräfte, wenn es gegen Projekte etwa des Umweltschutzes oder der alternativen Energiegewinnung geht. Insbesondere, wenn dabei eigene Pfründe gefährdet sind. Dabei übersehen sie (oder verschweigen bewusst) wie sehr sie selber in Ideologien verstrickt sind. Gerade der Konservatismus oder der (Neo-)Liberalismus sind stark Ideologie-getriebene Weltanschauungen, die als die alleinseligmachenden angesehen werden.

Zur Information hier ein Auszug aus dem Wikipedia-Artikel "Ideologie":

Politik ist immer mit Ideologie verbunden, eine unideologische, rein technokratische Politik ist realitätsfremd. Politische Programme basieren auf bestimmten Wertesystemen. Die grundlegenden politischen Ideologien sind Liberalismus (Betonung der Freiheit auf Grundlage der Marktwirtschaft), Sozialismus (Betonung der Gleichheit) und Konservatismus (Betonung von gesellschaftlichen Traditionen).

Der Vorwurf einer durch Ideologie bestimmten Argumentation findet sich häufig im politischen Diskurs. Damit wird unterstellt, dass ein Standpunkt deswegen nicht stichhaltig sei, weil er auf einer politischen Ideologie basiere. Der eigene Standpunkt wird demgegenüber implizit oder explizit so dargestellt, dass er auf einer nüchternen Analyse der Wahrheit, dem gesunden Menschenverstand oder auf einer nicht in Frage zu stellenden Ethik beruhen würde. Dies könnte indes die jeweilige Gegenseite in vielen Fällen mit dem gleichen Recht für sich in Anspruch nehmen. Während die politische Linke Ideologien als etwas versteht, das sich in allen Gesellschaftsschichten zur Vertretung der jeweiligen Interessen bilden kann, überwiegt bei der sich als Mitte verstehenden Rechten "die Ideologie von der eigenen Ideologielosigkeit". Wo diese herrscht und nur die Ideologie der anderen als eine solche bezeichnet wird, muss jede Auseinandersetzung "ohne Ergebnis bleiben, steril, polemisch oder gar verletzend" werden.

Unausgesprochene Ideologeme (einzelne Elemente einer Ideologie) beherrschen oft die politische Debatte, ohne dass dies in der Diskussion immer bewusst wird.


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Mittwoch,
25. März 2023
Gestern hieß es in den Nachrichten, dass die ersten Leopard-2-Panzer aus Deutschland in der Ukraine angekommen sind.

Ich nehme die Meldung zum Anlass, mir wieder einmal den Wandel im eigenen Bewusstsein vor Augen zu führen. Vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine war mir der ganze Waffenschrott zutiefst zuwider: kostet eine Unmenge Geld und steht sowieso nur dumm herum. Etwas für technikvernarrte Militaristen. Oder so ähnlich.

Schon am Tag, als der Kanzler die Zeitenwende verkündete, drei Tage nach dem Einmarsch, klang ich anders (siehe ). Und heute? Zwar habe ich mich viermal vertippt, bis ich hier überall das Wort Leopard richtig geschrieben hatte (was vermutlich tief blicken lässt), aber ja, die Panzer sind vermutlich – leider, entsetzlicherweise – das richtige und angemessene Mittel, damit sich das überfallene Land wehren kann.

Zeitenwende im eigenen Kopf: Es ändern sich die Zeiten und wir uns mit ihnen.

Leopard-2-Panzer (picture alliance/dpa/Moritz Frankenberg)
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Leopard-2-Panzer der Bundeswehr (Quelle: DLF; picture alliance / dpa / Moritz Frankenberg)
       

Dienstag,
07. März 2023
Literarische Perlen (12)



Hermann Broch
Zerfall der Werte [6]

Zur Logik des Soldaten gehört es, dem Feind eine Handgranate zwischen die Beine zu schmeißen;
zur Logik des Militärs gehört es überhaupt, die militärischen Machtmittel mit äußerster Konsequenz und Radikalität auszunützen und wenn es nottut, Vöker auszurotten, Kathedralen niederzulegen, Krankenhäuser und Operationssäle zu beschießen;

zur Logik des Wirtschaftsführers gehört es, die wirtschaftlichen Mittel mit äußerster Konsequenz und Absolutheit auszunützen und, unter Vernichtung aller Konkurrenz, dem eigenen Wirtschaftsobjekt, sei es nun ein Geschäft, eine Fabrik, ein Konzern oder sonst irgendein ökonomischer Körper, zur alleinigen Domination zu verhelfen;

zur Logik des Malers gehört es, die malerischen Prinzipien mit äußerster Konsequenz und Radikalität bis zum Ende zu führen, auf die Gefahr hin, dass ein völlig esoterisches, nur mehr dem Produzenten verständliches Gebilde entstehe;

zur Logik des Revolutionärs gehört es, den revolutionären Elan mit äußerster Konsequenz und Radikalität bis zur Statuierung einer Revolution an sich vorwärtszutreiben, wie es überhaupt zur Logik des politischen Menschen gehört, das politische Ziel bis zur absoluten Diktatur zu bringen;

zur Logik des bürgerlichen Faiseurs gehört es, mit absoluter Konsequenz und Radikalität den Leitspruch des Enrichissez-vous* in Geltung zu setzen: auf diese Weise, in solch absoluter Konsequenz und Radikalität entstand die Weltleistung des Abendlandes – um an dieser Absolutheit, die sich selbst aufhebt, ad absurdum geführt zu werden: Krieg ist Krieg, l'art pour l'art, in der Politik gibt es keine Bedenken, Geschäft ist Geschäft –, dies alles besagt das nämliche, dies ist alles von der nämlichen aggressiven Radikalität, ist von jener unheimlichen, ich möchte fast sagen, metaphysischen Rücksichtslosigkeit, ist von jener auf die Sache und nur auf die Sache gerichteten grausamen Logizität, die nicht nach rechts, nicht nach links schaut, – oh, dies alles ist der Denkstil dieser Zeit!123

__________________________

* frz.: bereichert euch!

123 Broch, Hermann: Die Schlafwandler. Eine Romantrilogie, Rhein-Verlag Zürich 1952 [1932], S. 525 f.
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Dienstag,
28. Februar 2023
Zum Monatsende mal was Lustiges. Diese Karte hängt hier im Büro, und jedes Mal, wenn ich sie anschaue, lache ich mich schlapp!

Übrigens ein hervorragender Tipp für den Alltag: anstatt immer nur die Kinder (oder den/die Partner/in) einfach mal seinen Goldfisch anschreien. Der steckt das locker weg.

Papan ist ein großartiger Karikaturist: besucht unbedingt seine Website!

 
Papan: Ruhe!
© Papan
   
       
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Tag,
19. Februar 2023
Die alten Tagebücher (70)

3. November 1981

Wetterbeobachtungen. Der erwähnte Anbau ist eine Dusche und Toilette anstelle des alten Plumpsklos.

Manchmal kann ich verstehen, dass ganze Völker, wie etwa die Engländer, das Wetter zu ihrem Gesprächsthema Nr. 1 gemacht haben. Z.B. ist das heutige Wetter auf jeden Fall wieder erwähnenswert: Wir frühstücken im Freien (wieder vorm Hühnerstall wie im Frühling, weil der "Biergarten" schon eingewintert ist), arbeiten tagsüber in der Sonne und brauchen abends nicht zu heizen. Wir haben abends um halb zehn in der Küche unglaubliche 20 °C, die können doch nicht bloß davon kommen, dass grad ein Brot im Ofen bäckt und vorher eine Pizza - alle Türen sind offen (nein, die Haustür natürlich nicht), sehr erstaunlich das.

Unser Anbau ist von außen fertig, er sieht sehr hübsch aus, und auf den ersten Blick ist eine Veränderung zu früher kaum zu bemerken, obwohl er etwa 1 Meter länger ist.

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Wochentag,
12. Februar 2023
"Wir werden unsere Außengrenzen stärken und so irreguläre Migration verhindern", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf dem EU-Sondergipfel am Donnerstag in Brüssel. Die EU will also mehr Geld ausgeben für den Schutz der Außengrenzen. In Deutschland kommt Kritik aus der Opposition: Die Linke sagt, was auf dem EU-Gipfel in Sachen Flucht und Migration beschlossen worden sei, komme einer humanitären Bankrotterklärung gleich, und die Grünen meinen, die Errichtung von Zäunen passe nicht zur EU. Der Union sind dagegen die Beschlüsse nicht konkret genug, sie hätte sich eine gleichmäßigere Verteilung der Ukraine-Flüchtlinge in der EU gewünscht.

Gibt es jetzt mehr EU-Zäune?, fragt der Kommentator des DLF

Mir kommt dabei ein Gedicht von Robert Frost in den Sinn. Es trägt den Titel Mending Wall ("Die Mauer ausbessern") und thematisiert das Für und Wider von Zäunen und Mauern.



Mending Wall

Something there is that doesn't love a wall,
That sends the frozen-ground-swell under it,
And spills the upper boulders in the sun,
And makes gaps x even two can pass abreast.
The work of hunters is another thing:
I have come after them and made repair
Where they have left not one stone on a stone,
But they would have the rabbit out of hiding,
To please the yelping dogs. The gaps I mean,
No one has seen them made or heard them made,
But at spring mending-time we find them there.
I let my neighbor know beyond the hill;
And on a day we meet to walk the line
And set the wall between us once again.
We keep the wall between us as we go.
To each the boulders that have fallen to each.
And some are loaves and some so nearly balls
We have to use a spell to make them balance:
'Stay where you are until our backs are turned!'
We wear our fingers rough with handling them.
Oh, just another kind of out-door game,
One on a side. It comes to little more:
There where it is we do not need the wall:
He is all pine and I am apple orchard.
My apple trees will never get across
And eat the cones under his pines, I tell him.
He only says, 'Good fences make good neighbors'.
Spring is the mischief in me, and I wonder
If I could put a notion in his head:
'Why do they make good neighbors? Isn't it
Where there are cows? But here there are no cows.
Before I built a wall I'd ask to know
What I was walling in or walling out,
And to whom I was like to give offence.
Something there is that doesn't love a wall,
That wants it down.' I could say 'Elves' to him,
But it's not elves exactly, and I'd rather
He said it for himself. I see him there
Bringing a stone grasped firmly by the top
In each hand, like an old-stone savage armed.
He moves in darkness as it seems to me
Not of woods only and the shade of trees.
He will not go behind his father's saying,
And he likes having thought of it so well
He says again, 'Good fences make good neighbors.'


Da treffen sich zwei Männer im Frühling im Wald an ihrer gemeinsamen Grundstücksgrenze, um die im Winter beschädigte Steinmauer auszubessern, die nicht nur durch den Frost, sondern vor allem durch die Hunde der Jäger beschädigt worden ist. Doch wozu haben wir hier eigentlich eine Mauer, fragt der Sprecher, auf meiner Seite gibt es nur Apfelbäume und drüben nur Kiefern, die tun sich gegenseitig nichts. Hier gibt es doch keine Kühe, die man einzäunen müsste.

Die Antwort des Nachbarn besteht nur aus einem überlieferten Sprichwort: "Good fences make good neighbors" ("Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut") Der Sprecher aber stellt fest: Im Menschen gibt es etwas, das keine Mauern mag.

Robert Frost hat sich später zu diesem Gedicht in dem Sinn geäußert, dass er sich vermutlich in beiden Figuren gesehen hat, er habe es sich zur Regel gemacht, in allem, was er schreibe, für keine seiner Figuren Partei zu ergreifen. Der Impuls, schützende Mauern zu errichten und der gegensätzliche Impuls, sie abzutragen, existierten fortwährend in Frosts Werk, schreibt Henry Hart, einer von Frosts Biografen.

Nicht nur in den Gedichten von Robert Frost.

Hier wieder zwei Übertragungen ins Deutsche, die erste von Ingeborg, die zweite von mir (basierend auf Ingeborgs Version)
Wälle flicken

Etwas ist da, was Wälle gar nicht mag,
was unter sie Frost-Boden-Wölbung schickt,
die Steine oben in der Sonne kullert
und Lücken macht, durch die gleich zweie passen.
Was anderes ist noch das Werk der Jäger:
Ich gehe ihnen nach und reparier
wo sie nicht Stein auf Stein gelassen haben.
Sie trieben wohl den Hasen aus dem Bau,
zum Spaß der Kläffer. Diese Lücken sah
niemand sie machen, oder hört' sie machen.
Doch finden wir sie da, im Frühjahr, Flickzeit,
Ich sag Bescheid dem Nachbarn hinterm Hügel,
wir wandern eines Tags zu zweit entlang
und setzen den Wall zwischen uns instand.
Wir halten den Wall zwischen uns beim Gehn.
Die Steine dem, zu dem sie hingefallen.
Und manche sind Laibe, manche beinah Bälle,
wir brauchen einen Spruch zum Balancieren:
'Bleib, wo du bist, bis wir den Rücken kehren.'
Die Finger werden rissig vom Hantieren.
O, eine Art von Spiel an frischer Luft,
ein Mann pro Seite. Dazu kommt noch etwas:
Dort, wo er ist, braucht man gar keinen Wall:
Er hat nur Kiefern und ich Apfelbäume.
Die gehen niemals rüber, fressen nie
die Zapfen unter seinen Kiefern, sag ich.
Er bloß: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
Frühling ist Maliziöses in mir, kann ich
in seinen Kopf eine Idee platzieren?
'Warum sind dann die Nachbarn gut? Braucht's das
nicht bloß bei Vieh? Doch hier ist kein Vieh da.
Bevor ich einen Wall setz, würd' ich fragen
was ich da einwall oder auswall, und
wem dies mein Werk Gewallt erscheinen mag.
Etwas ist da, was Wälle gar nicht mag,
was sie niederreißt.' Könnt es Kobold nennen,
doch Kobold ist's ja nicht. Mir wär es lieber,
dass er es selbst so nennt. Ich seh ihn als
bewehrtes Steinzeitungetüm, in Händen
je einen Stein, am Ende fest gepackt.
In Dunkelheit bewegt er sich, scheint mir,
nicht der des Walds nur und der Bäume Schatten.
Er geht nicht hinter seines Vaters Wort und
freut sich, dass er's so gut behalten hat.
Er nochmal: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'



Mauerflicken

Da ist etwas, das Mauern gar nicht mag,
Was unter sie gefror‘nen Boden schiebt,
Die ob‘ren Steine in die Sonne kippt
Und Lücken macht, durch die zu zweit man passt.
Und dann gibt es das Werk der Jäger noch:
Ich gehe ihnen nach und reparier‘
Wo sie nicht Stein auf Stein gelassen haben.
Sie trieben nur den Hasen aus dem Bau,
Jaulender Hunde Spaß. Die Lücken, mein‘ ich,
Sah und hörte keiner machen, doch
Finden wir sie dort zur Frühjahrsflickzeit.
Ich sag Bescheid dem Nachbarn hinterm Hügel,
Wir gehen eines Tags die Strecke lang
Setzen die Mauer zwischen uns instand.
Halten die Mauer zwischen uns beim Gehn.
Die Steine dem, zu dem sie hingefallen.
Manche sind Laibe, manche beinah Bälle,
Wir brauchen einen Spruch zum Balancieren:
'Bleib, wo du bist, bis wir den Rücken kehren.'
Die Finger werden rissig vom Hantieren.
O, noch so eine Art von Spiel im Freien,
Einer auf jeder Seite. Und dann noch was:
Dort, wo sie ist, braucht‘s gar keine Mauer:
Er hat nur Kiefern und ich Apfelbäume.
Die gehen niemals rüber, fressen nie
Die Zapfen unter seinen Kiefern, sag ich.
Er bloß: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
Im Frühling sticht der Hafer mich, ich frag mich,
Ob eine Idee ich ihm eingeben kann:
'Warum sind dann die Nachbarn gut? Braucht's das
Nicht bloß bei Vieh? Hier gibt es doch kein Vieh.
Bevor ich eine Mauer setz‘, frag‘ ich
Was ich denn da einmau‘re oder aus,
Und wen ich gar beleidige damit.
Da ist etwas, das Mauern gar nicht mag,
Was nieder sie möcht‘ reißen' – sind es Elfen?
Doch eigentlich sind’s keine Elfen, lieber
Wär’s mir, er selbst benennt‘s. Da seh‘ ich ihn
Wie einen Stein er fest ergreift, in jeder
Hand, bewaffnet wie ein Steinzeitwilder.
In Dunkelheit bewegt er sich, scheint mir,
nicht der des Walds nur und der Bäume Schatten.
Er geht nicht hinter seines Vaters Wort und
freut sich, dass er's so gut behalten hat und
sagt nochmal: 'Sind Zäune gut, sind Nachbarn gut.'
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Sonntag,
29. Januar 2023
Der erste Monat des Neuen Jahres ist beinahe schon wieder vorbei, und erst jetzt komme ich dazu, einen Beitrag im Jahr 2023 zu verfassen. Die Säumigkeit ist vor allem dem Reisen geschuldet. Und aus den Reiseerlebnissen will ich nur ein Ereignis herausgreifen: einen Besuch in der Hamburger Elbphilharmonie – umstrittenes, sündteures Bauwerk.

Ich will aber den vielen kritischen Kommentaren, die das Bauwerk seit dem Planungsbeginn 2007 begleiteten, keinen neuen hinzufügen. Wir hatten am 23. Januar einen phantastischen Konzertabend erlebt: Wagner, Mozart, Brahms, alles vom Feinsten. Von unserem Platz hinten über dem Orchester, der Niederländischen Philharmonie, (aber wo ist in einem runden Saal "hinten"?) konnten wir den Dirigenten Lorenzo Viotti (ein formidables Showtalent!) und die Mozart-Pianistin Maria João Pires bei ihrer Arbeit beobachten. Es war berührend zu sehen, wie sich der junge Dirigent (Jahrgang 1990) und die zwei Generationen ältere Pires verstanden und mochten.

Einzelheiten kann man der Kritik im Hamburger Abendblatt entnehmen.

 
Elbphilharmonie – Orchesterraum Elbphilharmonie – Zuschauerraum Elbphilharmonie – Blick durch die Panoramafenster auf den Hafen Elbphilharmonie – Blick durch die Panoramafenster auf die Stadt
Elbphilharmonie – Orchesterraum Elbphilharmonie – Zuschauerraum Elbphilharmonie – Blick durch die Panoramafenster auf den Hafen Elbphilharmonie – Blick durch die Panoramafenster auf die Stadt
   
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