Leseproben aus: Alexandre Dumas, Die Kameliendame



S. 7, 54 f., 100 ff., 128 ff.



[1] Der Beginn des Romans (S. 7)

[2] Armand, der die Geschichte seiner Liebe zu Marguerite Gautier erzählt, berichtet, wie er sie kennengelernt hat. (S. 54 f.)

[3] Armand hat die erste Nacht mit Marguerite verbracht. (S. 100 ff.)

[4] Marguerite verteidigt ihr Festhalten an ihrem Lebenswandel (S. 129 ff.)




[1]

Der Beginn des Romans (S. 7)


Gestalten erschaffen kann meiner Meinung nach nur, wer die Menschen lange Zeit erforscht hat, wie ja auch niemand eine Sprache beherrscht, der sie nicht gründlich erlernt hat.

Ich selber habe freilich das Alter noch nicht erreicht, in dem man dichtet, und darum will ich mich begnügen, hier nur zu berichten. Das heißt, der Leser darf von der Wahrheit dieser Geschichte überzeugt sein, deren Personen mit Ausnahme der Heldin alle noch leben. Überdies gibt es in Paris für viele der Geschehnisse, die ich hier vorbringe, genügend Zeugen, die sie bestätigen können, wenn man mir etwa nicht glaubt. Den Bericht niederzuschreiben aber ermöglicht mir ein seltsamer Zufall, denn mir allein sind die besonderen Zusammenhänge mitgeteilt worden, ohne welche er weder vollständig sein würde noch Anteilnahme zu erregen vermöchte.


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[2]

Armand, der die Geschichte seiner Liebe zu Marguerite Gautier erzählt, berichtet, wie er sie kennengelernt hat. (S. 54 f.)


Etliche Tage danach war eine Festvorstellung in der Komischen Oper. Ich ging hin. Das erste, was ich sah, war Marguerite Gautier in einer Loge des ersten Ranges.

Der junge Mann, mit dem ich beisammen war, entdeckte sie ebenfalls, denn er nannte ihren Namen und setzte hinzu: »Sehen Sie doch, was für ein schönes Kind.«

Im gleichen Augenblick sah Marguerite nach unserer Seite, erkannte meinen Freund, lächelte ihm zu und bedeutete ihm durch ein Zeichen, sie zu besuchen.

»Ich will ihr rasch guten Abend sagen«, erklärte er, »und bin im Augenblick wieder hier,«

»Haben Sie ein Glück!«

»Wieso?«

»Weil Sie zu dieser Frau gehen.«

»Sind Sie verliebt in sie?«

»Nein«, sagte ich errötend, denn ich fand mich in mir selbst nicht zurecht, »aber kennenlernen möchte ich sie gerne.«

»Kommen Sie mit, ich stelle Sie vor,«

»Fragen Sie erst um ihr Einverständnis.«

»Mein Gott, bei ihr braucht man da keine Sorge zu haben. Kommen Sie!«

Was er da eben sagte, fiel mir auf die Seele, und ich bangte zu erfahren, daß Marguerite dessen nicht wert sein könne, was ich für sie empfand.

In dem Buch »Am Rauchen« von Alphonse Karr kommt ein junger Mann vor, der abends einer sehr eleganten Frau folgt, in die er sich wegen ihrer Schönheit auf der Stelle verschossen hatte. Er traut sich die Kraft zu, Unmögliches ins Werk zu setzen, die Energie zu, alle Hindernisse zu überwinden, und den Mut, alle Taten zu verrichten, nur um ihr einmal die Hand küssen zu dürfen, wagt jedoch kaum die zierlichen Knöchel anzuschauen, die sie, um das Kleid nicht auf die Erde streifen zu lassen, kokett unter dem gerafften Rock sehen läßt. Und während er davon träumt, was er alles verrichten wolle, um diese Frau zu besitzen, bleibt sie an der Straßenecke stehen und fragt, ob er mit zu ihr kommen wolle.

Er wendet sich ab, überquert die Straße und geht betrübt nach Hause.

Diese Szene fiel mir ein, und ich, der mit Wonne für diese Frau gelitten hätte, fürchtete, daß sie mir zu rasch entgegenkommen und ohne große Umstände ihre Liebe schenken könnte, die ich in einer langen Wartezeit oder durch ein großes Opfer verdienen wollte. So sind wir Männer, und es ist ein Glück, daß die Einbildungskraft die Sinnlichkeit derart poetisch verklärt und daß die fleischliche Begierde den Wünschen der Seele so weit entgegenkommt.

Hätte mir jedenfalls einer gesagt: Du kannst diese Frau heut abend haben, mußt aber morgen dafür sterben, ich wäre darauf eingegangen. Hätte er dagegen gesagt: Zahle zehn Louis und sie ist dein, so hätte ich es ausgeschlagen und geweint wie ein Kind, dem beim Erwachen das erträumte Schloß in nichts zerfällt.


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[3]

Armand hat die erste Nacht mit Marguerite verbracht. (S. 100 ff.)


Wir schlossen einander noch einmal in die Arme, und ich ging. Die Straßen waren leer, noch schlief die große Stadt. Ein frischer Windhauch strich durch die Viertel, die bald von dem Lärm der Menschen erfüllt sein würden.

Mir war, als sei die schlafende Stadt mein Eigentum. Ich suchte mich an die Namen derer zu erinnern, die ich bisher um ihr Glück beneidet hatte, und es fiel mir keiner ein, den ich für glücklicher hätte halten können als mich.

Von einem keuschen jungen Mädchen geliebt zu werden, es als erster in dieses seltsame Geheimnis der Liebe einzuweihen, ist gewiß eine hohe Beglückung, aber doch das einfachste auf der Welt. Ein Herz erobern, das auf keinen Angriff gefaßt ist, heißt, eine offene Stadt ohne Besatzung einnehmen. Erziehung, Pflichtgefühl und Elternhaus sind zwar starke Schildwachen, aber so aufmerksame Schildwachen gibt es gar nicht, daß ein sechzehnjähriges Mädchen sie nicht überlisten könnte, wenn ihm der geliebte Mann und die Natur jene ersten Liebesregungen erwecken, die desto mächtiger sind, je reiner sie erscheinen.

Je gutgläubiger ein junges Mädchen ist, desto leichter gibt es sich, vielleicht nicht dem Geliebten, zumindest aber der Liebe hin. Denn da es kein Mißtrauen hat, hat es auch keinen Widerstand, und den Triumph, ihre Liebe zu erringen, kann sich jeder Mann von fünfundzwanzig Jahren verschaffen, sobald er will. Wäre das nicht wahr, würde man die jungen Mädchen nicht so ängstlich bewachen und einsperren. Keine Klostermauern sind hoch genug, keine Riegel stark genug, kein frommes Gelöbnis bindend genug, alle diese herrlichen Vöglein in ihrem Käfig gefangenzuhalten, den man nicht einmal mit ein paar Blumen versieht. Wie müssen sie nach dieser Welt verlangen, die man ihnen vorenthält, wie verlockend muß sie ihnen erscheinen, wie mögen sie der Stimme des ersten lauschen, der durch das Gitter hinein ihnen von den Geheimnissen erzählt, und wie die Hand segnen, die als erste einen Zipfel des rätselvollen Schleiers vor ihnen aufdeckt!

Von einer Kurtisane dagegen wirklich geliebt zu werden, ist ein anderer, schwierigerer Sieg. Bei ihnen hat der Körper die Seele verzehrt, haben die Sinne das Herz verbrannt, die Ausschweifung das Gefühl hinter einem Panzer geborgen. Die Worte, die man ihnen sagt, haben sie hundertmal gehört, die Schachzüge, die man anwendet, sind ihnen bekannt, die Liebe selbst, die sie erregen, haben sie bereits verkauft. Hinter ihren Berechnungen sind sie besser geschützt als eine Jungfrau bei der Mutter oder im Kloster. Auch haben sie für jene unberechenbaren Liebschaften, die sie sich von Zeit zu Zeit als eine Erholung, als Abbitte oder als Tröstung leisten, das Wort Caprice erfunden. Darin gleichen sie jenen Wucherern, die tausend Menschen aussaugen und alles wiedergutzumachen glauben, wenn sie einmal einem armen Teufel, der am Verhungern ist, zwanzig Francs ohne Zinsen und ohne Schuldschein leihen.

Wenn aber Gott einer Kurtisane wirkliche Liebe beschert, wird ihr diese Liebe, die zuerst als eine Gnade erscheint, fast stets zur Züchtigung. Ohne Buße gibt es keine Vergebung. Wenn ein Geschöpf, das seine ganze Vergangenheit zu bereuen hat, plötzlich von einer tiefen, aufrichtigen, unwiderstehlichen Liebe ergriffen wird, deren es sich gar nicht fähig glaubte, wenn es diese Liebe gesteht, welche Gewalt muß dann der geliebte Mann über es haben! Und wie stark mag der sich fühlen, der mit Recht zu ihr sagen darf: Du tust ja um der Liebe willen auch nicht mehr, als du des Geldes wegen getan hast.

Dann weiß sie nicht mehr, wodurch sie ihre Liebe noch beweisen soll. Ein Kind, heißt es in der Fabel, das sich lange Zeit den Spaß machte, auf dem Felde nach Hilfe zu schreien, um die Knechte zu foppen, wurde eines Tages von einem Bären zerrissen, weil keiner der so oft Genarrten diesmal den wirklichen Notschreien glaubte. Ähnlich ergeht es diesen Unglücklichen, wenn sie wirklich lieben. Sie haben so oft gelogen, daß man ihnen nicht mehr glaubt, und so werden sie außer durch Liebesqualen auch noch von Gewissensbissen verzehrt. Daher jene Beispiele großer Selbstverleugnung, strenger Entsagung; die schon manch eine gegeben hat. Wenn aber der Mann, der eine solche erlösende Liebe erweckt hat, ein großes Herz besitzt und sie erwidert, ohne nach der Vergangenheit zu fragen, und sich ihr ergibt, wenn er kurz und gut so wiederliebt, wie er selbst geliebt wird, gewinnt er alles irdische Glück in einem und wird nach dieser Liebe jede andere verschmähen.

Am Morgen, als ich nach Hause ging, stellte ich freilich solche Betrachtungen nicht an. Sie wären nur eine Vorahnung dessen gewesen, was mir noch bevorstand, und solche entscheidende Folgen sah ich trotz meiner Liebe zu Marguerite nicht voraus. Heute begreife ich sie; und nun, da alles unwiderruflich vorbei ist, erklären sie sich ganz natürlich aus dem, was geschehen war.


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[4]

Marguerite verteidigt ihr Festhalten an ihrem Lebenswandel (S. 129 ff.)


»Nun denn, Marguerite, ich möchte ganz ohne Umschweife zu Ihnen sprechen. Haben Sie mich, offen und ehrlich, ein wenig lieb?«

»Überaus.«

»Warum haben Sie mich dann hintergangen?«

»Lieber Freund, wenn ich die Herzogin Soundso wäre und 200000 Pfund Rente bezöge und als Ihre Geliebte dennoch einen zweiten Liebhaber hätte, dann dürften Sie mich mit Recht fragen, warum ich Sie hintergehe. Aber ich bin nur Fräulein Gautier, habe 40000 Francs Schulden, keinen Pfennig Vermögen und gebe im Lauf eines Jahres 100000 Francs aus, und deshalb ist Ihre Frage so müßig wie meine Antwort überflüssig.«

»Das mag richtig sein«, sagte ich und ließ den Kopf auf Marguerites Knie sinken. »Aber ich liebe Sie ja bis zum Wahnsinn.«

»Nun gut, mein Freund, dann müssen Sie mich etwas weniger lieben oder etwas besser begreifen. Wäre ich unabhängig, so hätte ich vorgestern den Grafen nicht empfangen, oder hätte ich ihn empfangen, so würde ich Sie um Verzeihung bitten, wie Sie jetzt mich um Verzeihung bitten, und künftig nur noch Sie allein lieben. Ich bildete mir einmal ein, ich könne dies Glück ein halbes Jahr lang genießen. Sie wollten es nicht, Sie verlangten die Mittel und Wege kennenzulernen. mein Gott, die waren leicht zu erraten. Mich ihrer zu bedienen bedeutete aber für mich ein größeres Opfer, als Sie sich vorstellen können. Ich hätte natürlich zu Ihnen sagen können, daß ich 20000 Francs brauche, und da Sie in mich verliebt waren, hätten Sie sie beschafft, wobei ich freilich Gefahr gelaufen wäre, daß Sie es mir später einmal vorgeworfen hätten. Ich wollte lieber nicht in Ihrer Schuld stehen. Diese Rücksichtnahme, denn das war es, haben Sie nicht verstanden. Wenn unsereins noch Herz hat, dann nimmt man Worte und Taten ernster und wichtiger, als es andere Frauen vermögen. Ich sage noch einmal: das Mittel, das ich zur Bezahlung meiner Schulden fand, ohne das erforderliche Geld von Ihnen selbst zu verlangen, war eine Rücksicht meinerseits, die Sie stillschweigend annehmen durften. Hätten Sie mich erst heute kennengelernt. so wären Sie über ein solches Versprechen mehr als glücklich und würden nicht nachfragen, was ich vorgestern tat. Es bleibt einem manchmal nichts anderes übrig, als das Verlangen unseres Herzens mit dem Leibe zu bezahlen, wenn aber hinterher die Erfüllung ausbleibt, leiden wir desto mehr.«

Hingerissen von Marguerites Anblick hörte ich zu. Da indes dieses herrliche Geschöpf, dem ich die Füße schon immer hätte küssen mögen, mir in ihrem Denken, in ihrem ganzen Leben eine solche Rolle eingeräumt und ich mich mit dem, was sie mir schenkte, doch nicht zufriedengegeben hatte, fragte ich mich, ob die Begierde des Mannes überhaupt Grenzen kennt. Denn selbst wenn sie so völlig gestillt ist wie die meine, verlangt sie ja immer nach Neuem.

»Das ist nun so«, fuhr Marguerite fort. »Glücksspielerinnen wie wir haben seltsame Wünsche und sind unbegreiflich in Liebesdingen. Wir verschenken uns bald für dies, bald für das. Manche Männer richten sich zugrunde, ohne etwas bei uns zu erreichen, andere haben uns für einen Blumenstrauß. Unser Herz gehorcht seinen Launen, das ist sein einziges Vergnügen und seine einzige Entschuldigung. Dir habe ich mich, das schwöre ich, rascher ergeben als je einem Manne. Und warum? Weil du meine Hand nahmst, als du mich Blut spucken sahst, und mich beweint hast, weil du die einzige menschliche Seele gewesen bist, die mich von Herzen bedauerte. Mag ich dir eine Albernheit erzählen? Ich besaß früher ein Hündchen, das mich ganz traurig ansah, wenn ich hustete. Es ist das einzige Wesen gewesen, das ich je liebte.

Als es starb, weinte ich mehr als beim Tod meiner Mutter. Allerdings hatte sie mich bei ihren Lebzeiten auch zwölf Jahre hindurch geprügelt. Siehst du, dich liebte ich gleich wie jenes Hündchen. Wüßten die Männer, was durch eine einzige Träne zu erreichen ist, so würden sie mehr geliebt werden, und wir wären weniger dem Verderben preisgegeben.


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