Leseprobe 1 aus: J. Kirchhoff, Was die Erde will, S. 41 ff.


Zur Ökologie des Denkens

Was wir heute mehr als je zuvor brauchen, ist ein wirklich ganzheitlicher (holistischer), wirklich integraler Zugang, der Denken, Fühlen, Wollen und Meditieren auf neuer Ebene umgreift und durchdringt. Dazu bedarf es einer Grundlagenbesinnung, einer wirklich tiefen Ökologie, die die Falle des Reduktionismus (auch in seiner subtilsten Form) und der Regression vermeidet, genauso wie die Falle des sentimentalen Ungefähr, der unverbindlichen Gefühligkeit. Diese Grundlagenbesinnung kann sich nicht (was die meisten "Ökodenker" tun) an bestimmte Ergebnisse der modernen Naturwissenschaft anschließen bzw. diese einfach referierend einbeziehen, ohne sie erkenntnistheoretisch und anthropologisch zu befragen. Systemtheorie, Gaia-Theorie, neue Kosmologie, Chaostheorie sind nicht Konzepte, die "einfach so" dastehen und nun beliebig als Versatzstücke dienen können für eine ökologische Besinnung. Wir müssen vom Menschen ausgehen, ohne ihn in der bekannten Art als "Krone der Schöpfung" berechtigt und befugt zu glauben, sich alle anderen Geschöpfe schrankenlos zu unterwerfen. Ein radikaler Nicht-Anthropozentrismus (alle Wesen sind als Teile der lebendigen Schöpfung gleichrangig, der Mensch ist insofern "nichts Besonderes") ist in keiner Weise durchzuhalten, weder theoretisch noch praktisch. Das Ganze ist pure Sentimentalität!

Ganz zu schweigen davon, daß in den allermeisten Verlautbarungen dieser Art die sozialökologische Dimension ausgeklammert wird. "Ohne vorrangige Berücksichtigung der strukturellen gesellschaftlichen Bedingungen ist alles ökologische Reden, Schreiben und Bemühen von vornherein Makulatur und (zumindest) unbewußte Ablenkungsideologie." Dies schreibt der Philosoph Johannes Heinrichs in seinem Buch Ökologik (Untertitel: Tiefenökologie als strukturelle Naturphilosophie). Soweit ich sehen kann, gehört Heinrichs zu den ganz wenigen Autoren, deren Denkmethodik und Denkresultate das Etikett "tiefenökologisch" rechtfertigen. Was er vorlegt, ist nichts Geringeres als der Versuch einer philo- sophischen Grundlegung von Ökologie überhaupt, die nach seiner (und nach meiner) Überzeugung, wenn sie nicht technisch-naturwissenschaftlich oder reduktionistisch sein soll, notwendig eine Ökologie des Bewußtseins einschließt, ja diese im Kern ist.

Heinrichs: "Denn es ist stets die strukturelle Lüge, die als erste den Planeten verseucht, bevor sie äußerlich als Umweltschädigung in Erscheinung tritt. Heute erleben die Wortverbindungen mit ‚öko’ eine Hochkonjunktur, welche Mißtrauen erregt. ‚Öko-logie’ meint wörtlich den Logos des Haushaltens. Unsere gesamte Industrie ist jedoch nicht auf Haushalten in der Natur eingerichtet, sondern auf den Massenverbrauch teils unnützer Güter. Wenn wir dem Einhalt gebieten wollen, müssen wir im Haushalt des Bewußtseins selbst ansetzen: bei der Ökologie des Bewußtseins." Und: "Ohne das Haus des Denkens in Ordnung zu bringen, also ohne Ökologie des Denkens im Ganzen, wird es keine grundlegenden Fortschritte in der Ökologie der äußeren Natur geben können. Hier liegt der gravierende Unterschied zwischen Oberflächenökologie und Tiefenökologie. Die letztere erkennt: Umweltverschmutzung und -Zerstörung sind unausweichliche Folge der Innenweltverschmutzung, der Gedankenzerstörung. ‚Ökologie des Denkens’ meint zweierlei zugleich: erstens grundsätzlich denkendes Herangehen an die ökologischen Probleme im Unterschied zu einem bloß pragmatischen, zweitens und vor allem eine Ökologie der menschlichen Denkwelt als dem Teil seiner Innenwelt, dessen Verschmutzung und Vernachlässigung, wenn nicht gar Verwüstung, die weitreichendsten Folgen für den Zustand der Außenwelt zeitigen."

Ohne die Mühewaltung des Denkens (so Varela, Johannes Heinrichs, Rudolf Bahro, Ken Wilber und andere) werden wir in der Frage, warum der Mensch die Erde und damit auch sich selbst zerstört, keinen Millimeter weiterkommen. Dieses Denken schließt Spiritualität nicht aus, sondern gerade ein; beides bedingt und steigert einander. Wirkliches Denken kann nie in Widerspruch zu wirklicher Spiritualität geraten; wer das Denken konsequent und subtil und ganzheitlich-komplex genug vorantreibt, also nicht ideologisch geprägt und fixiert auf das, was als "Rationalität" hoch im Kurs steht, stößt notwendig zum Spirituellen vor. Auf je verschiedene Weise sagen dies Varela, Heinrichs, Bahro und Wilber, und ich tue es auf meine Weise. Sicher gibt es Grenzen für eine denkerische Erfassung der Wirklichkeit, aber diese sind anders gezogen, als es eine schwärmerische, sentimentale oder schlicht "denkfaule" Betrachtung nahelegt. Nur das Technische/Mathematische/Naturwissenschaftliche gilt als "objektiv" und verbindlich, alles "Geisteswissenschaftliche" dagegen als "subjektiv" und mehr oder weniger unverbindlich (oder schwimmend im Ungefähren, im Mutmaßen und Meinen). Das ist die herrschende Überzeugung. Und genau diese Überzeugung ist Teil der Katastrophe.

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