Leseprobe 2 aus: Siegfried Lenz, Deutschstunde



Ausgabe der SZ Bibliothek, S. 382 ff.






(Mitte des 15. Kapitels, "Die Fortsetzung". Der Krieg ist bereits zu Ende, seit kurzem haben die Engländer das Land an der Küste unter ihre Verwaltung genommen. Siggi überrascht seinen Vater bei der Hütte des Malers Nansen, wo der "Polizeiposten Rugbüll" neben den Resten eines offenbar von ihm entzündeten Feuers steht. Siggis Vater hatte Skizzen von Nansen verbrannt.)


Ich richtete mich auf und sah ihn nur erschrocken an. Ein Ausdruck von stierender Zufriedenheit lag auf seinem Gesicht, jetzt, da er es getan hatte, er konnte ruhig dastehen und rauchen wie nach einem vollbrachten Auftrag.

Dort auf der Halbinsel, vor den Resten des Feuers, begann ich mich vor ihm zu fürchten, und zwar nicht vor seiner Kraft oder seiner List oder Hartnäckigkeit, sondern vor seiner ihn bewohnenden Unbeirrbarkeit; diese Furcht war stärker als der Hass, der auf einmal da war und mir riet, mich auf ihn zu stürzen und seine Schenkel und Hüften mit den Fäusten zu bearbeiten. Diese stierende Zufriedenheit! Diese schlimme Ruhe in ihm. Ich konnte ihn nicht mehr ansehen, ich hockte mich hin und warf Sand auf die Feuerstelle, ich ließ den feinen Sand auf die verkohlten Reste hinabregnen, bis sie ganz bedeckt waren und nichts mehr an eine Feuerstelle erinnerte.

Ihn, den Polizeiposten Rugbüll, schien das nichts anzugehen, er beobachtete mich schweigend, atmete mehrmals auf, als ob er erwachte, blieb jedoch nicht wach, sondern fiel gleich wieder zurück in seine stierende Zufriedenheit. Nein, ich war damals noch nicht überrascht, als ich unerwartet einen ziehenden Schmerz in den Schläfen spürte, dazu eine leichte Benommenheit und das Hämmern meiner Furcht, die mir zum ersten Mal zu denken gab, da ja nichts, nichts mehr sicher war vor ihm in seinem Amtsbereich. Mit seiner erschreckenden Unbeirrbarkeit konnte er jedes Versteck finden, dachte ich, und dachte sofort an meine Sammlung in der Mühle und daran, dass ich sie vor ihm würde verbergen müssen, aber wo?

Was zitterst du so? fragte er, in deinem Alter gibt’s noch nichts zu zittern. Morgen, dachte ich, oder am besten heute abend noch werde ich die Sachen fortbringen. Na, fragte er, was ist los? Vielleicht nach Bleekenwarf, dachte ich, vielleicht würde der Maler mithelfen, ein neues Versteck auf Bleekenwarf zu finden. Antworte gefälligst, befahl er, und ich sagte: Du darfst das nicht, du darfst nichts mehr beschlagnahmen, du darfst kein Feuer machen, du darfst nichts mehr verbrennen. – Wer hat dir das gesagt? – Alle, alle haben es gesagt, dass das Malverbot vorbei ist und dass du nichts mehr zu bestellen hast, und wenn ich erzähle, was du hier gemacht hast: der Maler wird sich das nicht gefallen lassen. Was früher war, ist aus und vorbei, das haben alle gesagt, und ich habe gehört und gesehen, was du früher gemacht hast: das darfst du nicht mehr. Du hast Onkel Nansen nichts mehr zu sagen, er kann jetzt machen, was er will, das weiß ich.

Er schlug zu. Ich fiel in den Sand und blieb auf den Knien liegen. Er hatte mich am Unterkiefer getroffen. Der zweite Schlag streifte nur meine Wange. Steh auf, sagte er. Ich blieb liegen. Er packte mich am Hemdkragen und zog mich empor, zog mein Gesicht nah zu sich heran, so dass ich mich auf die Fußspitzen stellen musste und ihn mit meinem ganzen Körper berührte. Also langsame Augenuntersuchung, auf die er sich so gut verstand, ernstes Erforschen meiner Netzhaut, ich hielt seinem Blick stand diesmal, ich wich ihm nicht aus und sah in seine verengten Pupillen, aus dieser Nähe bekam ich ihn selten zu Gesicht. Wie faltig er war und wie verdrossen, sie stand ihm gut, diese Verdrossenheit, sie gab jedermann bekannt, dass der Polizeiposten mit der Welt nicht einverstanden war.

Du weißt also auch etwas, sagte er, sieh mal an: du hast dich demnach umgehört! Dir ist bekannt, was erlaubt ist. Wo etwas anfängt und wo etwas aufhört: du weißt Bescheid. Auch dass es heute anders ist als früher, ist dir nicht verborgen geblieben. Er lockerte den Griff, stieß mich von sich, nicht sehr kraftvoll, nicht so, dass ich stolperte und zu Boden ging. Vieles hast du gehört, sagte er, aber nicht dies: dass einer sich treu bleiben muss; dass er seine Pflicht ausüben muss, auch wenn die Verhältnisse sich ändern; ich meine, eine erkannte Pflicht. Und du willst also verbreiten, dass dein Vater etwas tut, was er als seine Pflicht erkannt hat, na gut, kannst es rumerzählen, kannst es ihm melden, auf Bleekenwarf, wo du ja genug rumsitzt. Kannst ruhig gegen mich arbeiten. Ich bin mit Klaas fertig geworden, mit dir wird ich allemal fertig werden. Er hob sein Gesicht: farblose, zusammengepresste Lippen, knirschendes Gebiss. Abschätzender, nicht belustigter, sondern nur abschätzender Blick. Gleitende, unbestimmte Gesten wie in einem Selbstgespräch. Willst du noch was sagen?

Zu meiner Überraschung, obwohl ich schon zu einem Kopfschütteln angesetzt hatte, wollte ich: ich wiederholte, dass es nichts mehr zu überwachen gab für ihn, nichts zu beschlagnahmen und zu zerstören. Ich sagte ihm, dass es kein Malverbot mehr gab und für ihn keine Pflicht, einzuschreiten. Ich drohte ihm jedoch nicht und sagte auch nicht, wie sehr ich ihn hasste, doch er muss es gespürt haben, wie er auch meine Furcht spürte, denn er trat auf mich zu und sagte: Wenn dich raushältst aus allem, werden wir uns so gut verstehn wie früher, brauchst dich nur rauszuhalten.

         
         
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