Leseprobe aus: Christian Maurer, Orbasils Stück



S. 84 ff.








Orbasil hat eine Lehrerstelle in der Schule in Fleischersbrück. Ihm erscheint dies eher wie eine Folter, am Wochenbeginn, Montagmorgen, leidet er schreckliche Qualen. Hier finden sich u.a. lesenswerte Ansichten über die Schulpädagogik (S. 84 ff.)


Orbasil kam irgendwie hoch, indem er seinen Körper aus der Geborgenheit riß, eine schwere Geburt unter Schmerzen, so schien ihm, und wankte, wie er es gewöhnlich tat, sobald er das Bett verlassen hatte, aufs Klo. Der Raum diente zugleich als Badezimmer, und Orbasil staunte, nicht zum ersten Mal, über das große, viereckige Loch im Boden, direkt unter dem freilich verstöpselbaren kreisrunden Abfluß der Wanne, die auf vier schrägen Beinen stand. Der Orkus lag offen, das Schmutzwasser, der Abschaum des Menschen vielleicht, lief durch kein Rohr. Orbasil bewunderte es in einem gewissen Sinn. Frau Schlossarek hatte ihn gewarnt, daß es nicht ratsam sei, das Wasser plötzlich und unvorsichtig abzulassen, was bedeutete, daß man den Stöpsel am besten ein wenig anhob und nach einer kleinen Weile wieder hineindrückte, wieder anhob und so fort. Der Orkus konnte nicht allzu viel auf einmal entgegennehmen, sonst drohte auch hier Überschwemmung.

Aber es gab in diesem morgendlichen Schwanken voll Müdigkeit und Überdruß Wichtigeres, und obwohl Orbasil den Wasserabfluß nach dem Duschen immerhin behutsam regelte, war der kommenden Qual nach vernünftigem Ermessen auf keine Weise auszuweichen. Zum Tode Verurteilte, oder noch besser auf die Folter Wartende, dachte Orbasil, lenken sich auch für eine flüchtige Frist ab, werden abgelenkt, aber stets kehren die Gedanken dann an die wunde Stelle, zur wunden Zukunft zurück: Es wird losgehen. Und trotzdem verzögert sich der Fluß der Zeit. Sonntagabende können sehr viel tückische Weile enthalten, hatte Orbasil erfahren, am Montag in der Frühe ist es dann soweit, noch nicht soweit. Orbasil sagte sich, daß er übertrieb, er solle sich nicht versündigen, hatte ihm vor langer Zeit in äußerlich anderem Zusammenhang, aber bei ähnlichem oder gleichem Seelentext die Mutter vorgehalten. Was war daran Folterhaftes, am Montagmorgen (es handelte sich nicht mehr um seinen ersten in der Buchenauer Grundschule, er kannte die Sache schon) mit frischen Kräften – so sah er aus! – eine Schar süßer kleiner Kinder spielend lernen zu lassen? Orbasil gebrauchte im Selbstgespräch, von dem er kaum wußte, ob es stumm oder nur leise war, absichtlich höhnische Worte. Sogar die sich entfaltende Mädchenblüte in Süße und Duft – eine, die ihm gerne einfiel, weil sie ihm als besonders reizvoll aufgefallen war, wurde Agata gerufen – durfte Orbasil unterrichten. Es ging bis in die achte Klasse hinauf, und Orbasil war unentbehrlich für gutes Deutsch. Sogar aus der Vorschule hatten sie schon telefonisch bei Schlossareks anfragen lassen, ob er nicht auch dort, ganz in der Nähe, mit den Kindern deutsche Spiele machen wolle. Er hatte abgelehnt, aber festgestellt, daß man ihm viel zutraute. Natürlich nicht persönlich ... Er war eine Attraktion aus dem nahen fernen Land, der großen Welt, er wurde von Kindern wie ein verkleideter Jahrmarktsriese. eine wunderbare Schießbudenfigur angestaunt, er erinnerte sich an den Mann am Klavier, den man auf eine bestimmte markierte Stelle am Hintern schießen muß, damit er zu spielen anfängt, loslegt mit der immer gleichen Melodie, gutes Deutsch – und wieder eins in den Hintern – gutes Deutsch – peng – gutes Deutsch. Inzwischen schossen die Kinder.

Sie hielten sich aber nicht an die Regeln, sondern zielten im Spaß auch auf die Augen, die Ohren, auf alle empfindlichen Körperteile. Orbasil spielte nicht nur seine Melodie, er quietschte, grunzte, jaulte. Er würde auch heute wieder seltene, belustigende, qualvolle Töne von sich geben müssen. Die Hölle war komisch. Orbasil übertrieb.

Aus dem Raum, aus der Zeit, von dorther, wo Orbasil heimatlos gewesen war, kamen Anflüge der Erinnerung. Was tat einer, sollte einer tun, der seine Heimatlosigkeit verloren hatte und nun nur mehr fehl am Platz war? Er verglich sich mit dem Buch, das dazu diente, ein fehlendes Schrankbein zu ersetzen, gepreßt, dem fremden Zweck untertan, ohne Aussicht, seine Form, die in den Zeilen stand, je preiszugeben und im Kopf eines Lesers in die eigentliche Form zu verwandeln. Es gab Bücher, Millionen stellte er sich vor, und Leser, auch Millionen, bei denen war's egal. Aber in Orbasil hätte es gestanden ... und wieder kam er sich lächerlich vor. Die Welt machte sich nicht die Mühe, in den Menschen zu lesen, sie verwendete und verbrauchte sie gleichgültig. Seit Wochen hatte er Ravasani nicht mehr gesehen, seit der einen Nacht und dem kurzen, nüchternen Abschied am darauffolgenden Morgen. Mit Herrn Schlossarek spielte Orbasil öfters an den Abenden, besonders um Freitag oder Samstag, Schach, was er dem Zuhören vorzog, da er bei den Berichten über so manches Erschreckende die Grenze zwischen Wahrheit und Vorurteil nicht ziehen konnte und sich hilflos im Dickicht von Herzlichkeit, Spießigkeit, Erlittenem und Phantasiertem verlor, in der Wirrnis und Wirrsal, zu der ihm die Erzählungen und Ausführungen der Hausleute, besonders des Mannes, wurden. Was Orbasil in solchen Fällen antwortete, schien ihm zu blaß, zu unverbindlich, weder das Mitgefühl noch der Widerspruch hatten genug Kraft. Und dann die Schule ... Orbasil wollte sich in die vierzehnjährige Agata verliebt haben. Er brauchte das besondere Interesse für einen Menschen, den er regelmäßig sah, um sich in den Folterpausen zu entspannen. Er trat ihr nicht nahe, es zog ihn nicht einmal zu ihr hin: Auch die achte Klasse, die sie, ein begabtes (nicht das begabteste) und schönes Mädchen (vielleicht das schönste der Schule), noch hier in Buchenau besuchen mußte – dem Fleischersbrücker Schulgesetz zufolge war erst danach der Übertritt ins Lyzeum möglich –, stellte für ihn, Orbasil, der sich nun bewußt hineinsteigerte ins Pathos seiner Pein (wenn schon, dann auch was draus machen!), nur ein Fähnlein der Hölle dar, nicht das schrecklichste, nicht das erträglichste. Daran konnte keine freundliche Kollegin, die ihm Kaffee und Kuchen anbot, keine Mädchenblüte etwas ändern. Er übergoß gerade den Teebeutel mit kochendem Wasser, das er in einer Elektrokanne erhitzt hatte. Eine Straße mit lauter Haushaltwarengeschäften kam ihm kurz in den Sinn. Der Tee war sehr heiß, Orbasil mußte sich beeilen, er trank so schnell wie möglich, in kleinen Schlucken in kurzen Abständen. Als er das Haus verließ, dachte er nichts. Auf dem Schulweg, es war noch dunkel und er machte aus Angst vor Hunden den kleinen Umweg über die Landstraße, die nach Achenwörth führte, kam es ihm jedenfalls plötzlich so vor, als sei es ihm für Momente gelungen, in Gedanken zu schweigen. Dann bog er in die Schulstraße ein. Kleine und größere Kinder strömten, einige grüßten ihn wie zum Hohn: guten Tag!

Sie grüßten nicht: guten Morgen! Orbasil bemerkte beiläufig, daß er es wohl versäumt hatte, ihnen diese Form beizubringen. Es fiel ihm zwar schwer, irgendeine Sprache, die zwischen Weltliteratur und Tierlaut lag, ernstzunehmen. aber die Lehrbücher hatten ihren geheimen Reiz. Sie erzählten zum Beispiel Geschichten von Familie Berger, den Kindern Erika und Thomas, und immer blieb das Wesentliche ausgespart, stand aber zwischen den Zeilen zu lesen.

Schlagt auf auf Seite 36! Lies bitte, Robert!

Robert hatte sein Buch vergessen, das gab immerhin Anlaß zu geräuschvollen Verhandlungen. Aber schließlich begann er doch zu lesen. Er las stockend, versprach sich oft, hatte Mühe mit den Wörtern. Auch mußte er zwischendurch über irgendetwas lachen. Der Sinn des Textes wurde trotzdem auf diskrete Weise deutlich. Am Freitagabend traf sich Herr Berger mit seinen Freunden in der Schänke. Tagsüber hatte er sonst nicht viel vom Leben, so wenig wie Orbasil in der Grundschule von Buchenau oder vielleicht noch weniger. Aber nun trank er ein paar Gläser Bier, und außerdem teilte sich die Freundesrunde den Inhalt einiger Halbliterflaschen Schnaps. Dabei herrschte eine fröhliche und ausgelassene Stimmung, und Orbasil verstand gut, daß die Mariner im Gespräch auf die Weiber kamen, nicht auf Frau Berger, die abgearbeitet, häßlich und fast immer schlechter Laune war, sondern eher auf solche, wie sie im Fernsehen in dramatische Handlungen verwickelt zu sehen waren, und allgemein auf das Schöne, Anbetungswürdige des weiblichen Geschlechts, auf das, was hätte beglücken können. Die Männer sprachen auf ihre brutale Weise übers Glück, sie lachten viel dabei und brüllten öfters laut auf vor Vergnügen. Denn auch die Frauen der anderen glichen mehr oder weniger Frau Berger, und deshalb brachte die Vorstellung des Glücks die Mariner zum Lachen. Auf dem Heimweg litt Herr Berger dann unter starken Gleichgewichtsstörungen, er konnte sich auf einmal nicht mehr halten, fiel irgendwo neben einem Busch hin und blieb vorerst liegen. Seine Frau, die dergleichen ahnte, als er so lange nicht nach Hause kam, drohte Erika und Thomas, die, statt schlafen zu gehen, lieber fernsehen wollten, mit dem Vater und machte sich schließlich auf die Suche nach ihrem Mann. Als sie ihn gefunden und aus seiner halben Bewußtlosigkeit geweckt hatte, begann er sie zu beschimpfen, denn er hatte das Glück im Sinn und im Gelächter gehabt und sah jetzt das Unglück vor sich.

Er brachte sogar, als sie nicht abließ, mit einer Stimme, als müsse er sich erbrechen, die Worte vor: Morgen bist du tot! Es gelang ihr aber endlich doch, ihm auf die Beine zu helfen und ihn zu bewegen, die Heimkehr fortzusetzen. Oft mußte sie den Schwankenden, der sonst gefallen wäre, halten, stützen, auch ziehen, manchmal konnte sie es nicht verhindern, daß er wieder eine Weile liegenblieb. Er stieß unterwegs weitere Drohungen hervor. Nach einer Zeitspanne, die Frau Berger endlos vorkam und während der ihre Hauptangst (besonders im Treppenhaus, als der Mann laut herumschrie) den Nachbarn galt, vor denen sie, wenn diese aus den Türen hervorlugten, in den Boden versinken wollte, kehrten die beiden gemeinsam in die Wohnung zurück. Die Kinder saßen noch vor dem Fernsehen. Er drohte auch ihnen den Tod an, hatte aber nicht mehr die Kraft, sie zu schlagen, sondern sank, sobald er sein Bett erreicht hatte, darauf hin und begann flach auf dem Rücken liegend, während ein Bein über die Bettkannte herabhing, seinen Rausch auszuschlafen. Der Mund stand offen, er röchelte. Inzwischen las nicht mehr Roben vor, sondern Martina, mit angenehmerer Stimme und beinahe fehlerlos. Die übrigen Kinder waren aber ziemlich laut, Orbasil brüllte öfters »Ruhe!«, was keine große Wirkung zeigte. Die Haltung Herrn Bergers erinnerte ihn an den Gekreuzigten. Möglicherweise war aber, das gab Orbasil insgeheim zu, Frau Berger noch schwerer gekreuzigt. Es gelang ihm nicht so gut, sich in Frauen hineinzuversetzen. In Martinas wohllautendem Stimmchen – leider war das Mädchen bei dem Lärm nur mit Mühe zu verstehen – schien ein feiner Spott über die Familienverhältnisse, denen Robert entstammte, zu liegen. Sicher war Martina aus guter Familie.

Orbasil empfing die geheimen Botschaften der Texte und versuchte in den Augen, den Stimmen, den Körpern der Jungen und Mädchen zu lesen, er sprach und langweilte, schrie und belustigte die ihm Ausgelieferten, denen er ausgeliefert war. Eine schöne Formel, fand er, aber sie half nicht. Das Unvernünftige, das höllisch Unwirkliche, der Zustand Herr Orbasil, Grundschullehrer in Buchenau, fühlte sich sehr real an und forderte ungerührt den Zoll der Gegenwart. Der Verlauf der Stunden war wechselhaft, von Klasse zu Klasse, von Tag zu Tag verschieden. Während der Aufführungen wurden dem Spieler seiner Rolle unvorhersehbare Wendungen eingeflüstert, und manchmal gab sich der Unterricht den Anschein der Normalität. Dann passierte es Orbasil fast, daß er sich als Lehrer ernstzunehmen begann. Aber auf einmal war er in der einen oder anderen Klasse, unversehens, obwohl er es als ständige Angst im Kopf hatte, nur mehr der komische Mann, der allein durch seine ohnmächtige Anwesenheit im Raum (Folterkammer hätte er ihn lieber genannt) zur Stunde, in der er hätte Macht haben müssen, zum Signal für ein wildes Treiben wurde. Wiederholte sich das, wurde es zur Phase, so griffen manchmal Kolleginnen helfend ein. Ein besonders frecher Schüler mit einem lachenden Mäusegesicht im breiten Katerskopf bekam einmal im Lehrerzimmer von einer älteren, mütterlich strengen und aufopfernden Lehrerin den Rohrstock über den Schädel, es war Orbasils Schuld, und in dem Bubengesicht löste sich das sonst verborgene Weinen. Innerlich zitterte Orbasil an all diesen Tagen, diesem einen Tag, der ewig wiederzukehren schien, und der seinen verborgenen Brennpunkt nicht unter der Woche, sondern im Sonntagabend hatte, vor dem auslaufenden Auge des Kindes, dem gebrochenen Halswirbel des Schülers, der mit dem gekippten Stuhl umfiel, vor dem Offenbarwerden der Katastrophe.

Der Unterricht spielte sich in Orbasils besonderem Raum, dem Saal für »Gutes Deutsch« ab, der im Vergleich zu anderen Klassenzimmern immer kahl und nüchtern blieb, da Orbasil sich um die Ausstattung und Verschönerung wenig kümmerte, die Schüler nicht anzuleiten verstand, mit girlandenbildenden Topfpflanzen und sinnreichen Plakaten, Fotos oder Karten eine Arbeitsheimat zu schaffen. Er brauchte eine Tafel, Kreide, Bücher, ein Pult, manchmal einen Kassettenrecorder – alles andere war ihm egal.

Es waren vor allem praktisch und häuslich begabte Mädchen aus einigen Klassen, die wahrscheinlich von ihren Klassenleiterinnen auf das Kahle, den atmosphärischen Mangel des Saales hingewiesen, notdürftig nachholten, was Orbasil anzuregen versäumt hatte. Der zuckte insgeheim die Achseln und fand, daß der ums Überleben Kämpfende keinen Sinn für Wandschmuck und dergleichen haben müsse – nie hatte er Sinn dafür gehabt, immer hatte er ums Überleben gekämpft, aber früher war der Kampf geruhsamer gewesen – und betrachtete die raumverschönernden Bemühungen mit wohlwollender Gleichgültigkeit.

In den Pausen hielt sich Orbasil meistens im Lehrerzimmer auf. Er war, abgesehen vom Pfarrer, der an manchen Tagen in die Schule kam, um katholische Religion zu unterrichten, der einzige Mann im Kollegium. Der Römerkopf gehörte nicht dazu, sondern tauchte nur gelegentlich auf, zuweilen auch bei Schlossareks, und erwies sich als völlig harmlos für Orbasil, dem er sogar eine Schreibmaschine lieh. Er war ein Freund der Direktorin und ehemaliger Lehrer der Schule, zu der er vielleicht nicht einmal mehr in einem dienstlich fixierten Verhältnis stand (möglicherweise war er aber eine Art Fachrespizient im Nebel), gab irgendwelche Kurse für Lehrerausbildung und -fortbildung im Umkreis, redete seltsam und lag im Streit mit den vorgesetzten Schulbehörden. Er trug den schönen Namen Belina, und seine Tochter galt als das Wunder der Schule und hatte nur die besten Noten. Seine pädagogischen und methodischen Vorgaben waren anscheinend nur Wunschvorstellungen. Orbasil merkte bald, daß niemand von ihm erwartete, daß er sich daran kehre, auch Belina selbst nicht. Denn Lehren und Erziehen bedeutete eben auch hier Vortäuschen, der Lehrer oder Erzieher war ein Vortäuscher. eine Ansicht, zu der Orbasil schon am geheimen Sonntagabend der tiefen Vorvergangenheit als Studienreferendar in der Heimatlosigkeit des Mutterlandes gekommen war. Die Wissenschaftsmausoleen der Pädagogik Methodik oder Didaktik wurden über den gemordeten Kinderseelen errichtet. Gewiß gab es außerordentliche Lehrbegabungen. Genies des Unterrichtens, und gerade die entwickelten dann, indem sie ihren Sonderfall verallgemeinerten, die Ausnahme zur Regel erklärten, die Wahnvorstellung, die Schule sei für und nicht gegen die Kinder da. Immer waren es ja die Begabungen, die Menschen in eine Schieflage zur Welt brachten, Begabungen sind eine Falle. »Was dir am besten gelingt, wird dir unweigerlich zur Falle«, hatte der Dichter geschrieben, für den die roten Rosen bestimmt gewesen wären (Orbasil hätte sie freilich auch Agata schenken können, was dann?), in den Fehlern und Unfähigkeiten wuchs das Rettende, ohne Fehler war man verloren. An Fehlern fehlte es doch Orbasil nicht, ein genügend unfähiger Lehrer schien er auch zu sein, also hätte es passen können. Die Rechnung ging wie die meisten Rechnungen mit nicht' fixierbaren Größen nicht auf, sie war eher fürs Sudelheft gut als für das, was in der Vorvergangenheit zuweilen Wirklichkeit geheißen hatte. Herr Orbasil war zwar in Buchenau ein geachteter Mann, er wurde von der Direktorin und den Kolleginnen im allgemeinen wie ein geschätzter Gast behandelt (einige blinde Flecken gab es, da hätte er flirten müssen, was er nicht verstand oder nicht über sich brachte), aber Fräulein Orbasil hatte Schwierigkeiten. An langen Vormittagen gab Orbasil das Heft aus der Hand und war nur noch dabei, wenn das alberne Fräulein im Unterricht glücklos agierte und von ungezogenen (so drückte es sich aus) Kindern immer wieder gestörte Langeweile verbreitete. Im Lehrerzimmer mußte er sich dann mitanhören, wie es mit ähnlich gestimmten Kolleginnen in Tönen, die er schon aus der versunkenen Vorvergangenheit kannte, über die Frechheit, Dummheit und Faulheit der Schüler schimpfte und klagte, in Tönen, von denen, wie er fürchtete, alle Lehrerzimmer der Welt widerhallen. Das war der Tiefpunkt. Orbasil, der Weltgeist, der immerhin in seiner Wohnung bei Schlossareks die Sudelhefte liegen hatte, wollte mit dem Fräulein nichts zu tun haben. Er dachte an Ravasani.



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