Leseproben aus: Colin McGinn, Wie kommt der Geist in die Materie?



S. 176 f.

In dem Unterkapitel "Sie oder nicht Sie" behandelt McGinn das Ich. Viele seiner Gedanken zeigen m.E. richtige Ansätze, bleiben jedoch wohl aus Angst, in irgendwelche mystische Regionen zu geraten, stecken. Ernsthaft am Problem des Ich interessierte Leser sind bei  Ken Wilber besser aufgehoben.



Sie oder nicht Sie?

Bis hierher habe ich mich noch nicht ausdrücklich zum Ich oder Selbst geäußert, zum eigentlichen Träger von Bewusstseinszuständen, zu Personen, wie Sie und ich es sind. Ganz sicher können wir zu diesem entscheidend wichtigen Punkt nicht schweigen. Wenn Sie über Ihren eigenen Geist reflektieren, kommen Ihnen zumeist Feststellungen und Empfindungen wie "Ich habe Schmerzen im linken Oberschenkel" oder "Ich denke an Miami" in den Sinn. Solche Aussagen schreiben einem Etwas einen Bewusstseinszustand zu, und zwar dem, was immer es ist, auf welches das "Ich" sich bezieht.

Wir haben eine Menge Begriffe für dieses schwer zu fassende Etwas: "Selbst", "Subjekt", "Person", "Ego". Descartes argumentierte, dass wir von der Existenz dieser Einheit mit absoluter Gewissheit wissen. Ich mag nicht sicher sein, dass es eine äußere Welt gibt, oder gar, dass ich einen Körper habe, aber ich bin sicher, dass ich existiere. Weil ich mit Sicherheit weiß, dass ich denke, und weil ein Gedanke einen Denkenden voraussetzt, weiß ich mit Gewissheit, dass ich als Denker von Gedanken existiere. Cogito, ergo sum. Dieses denkende Ich aber ist, soviel steht fest, das Subjekt des Bewusstseins; es befindet sich gleichsam im Herzen des Bewusstseins, ohne selbst ein Bewusstseinszustand zu sein. Ein Bewusstseinszustand kann nicht existieren ohne ein bewusstes Subjekt, das Subjekt aber ist nicht das Gleiche wie der Zustand. Wie dem auch sei, das Problem des Bewusstseins und das Ich-Problem sind aufs Engste miteinander verknüpft. Wenn wir Bewusstseinszustände nicht verstehen können, dann ist kaum anzunehmen, dass wir im Stande sein werden, das Wesen des Subjekts dieser Zustände zu verstehen. Dieses Subjekt ist schlicht definiert als das, was diese mysteriösen Bewusstseinszustände hat. Ich möchte nun Ihre Aufmerksamkeit auf das bewusste Selbst verlagern und zeigen, dass auch dieses hochproblematisch ist; Sinn dieser Übung ist es, den Grund zu bereiten für die Idee, dass auch das Ich über eine verborgene Natur, ein unbekanntes Wesen verfügt.

Das Ich ist sicher einer der selbstverständlichsten Bestandteile der Wirklichkeit: Sie können nicht daran vorbei, es folgt Ihnen auf Schritt und Tritt. Aber es wird rasch zum Problem, wenn Sie beginnen, darüber zu nachzudenken. Das fällt besonders ins Auge, wenn wir danach fragen, unter welchen Bedingungen das Ich weiter existiert. Denken Sie einmal an Patienten, bei denen (in der Regel zur Behandlung einer Epilepsie) die Verbindung zwischen beiden Hirnhälften chirurgisch zertrennt wurde. Bei diesen Patienten geschieht etwas Seltsames: Wenn man ihnen einen Gegenstand in der linken Hälfte ihres Sehfeldes präsentiert, erreicht die Information nur die rechte Hemisphäre und wird nicht mehr an die linke weitergeleitet, weil die Fasern, die beide Hälften verbinden, gekappt wurden. Das Resultat ist, dass sie nun nicht mehr verbal berichten können, was sie sehen, denn die Sprachzentren des Gehirns befinden sich in der linken Hirnhälfte. Sie können sich bewegen, um den gesehenen Gegenstand aufzuheben, dies steht unter der Kontrolle der rechten Hemisphäre, doch die linke Hemisphäre nimmt nicht wahr, was vor sich geht. Frage: Wie viele Ichs haben diese Patienten? Die meiste Zeit über benehmen sie sich ganz normal, und Sie kämen nie auf die Idee, dass man ihnen das Gehirn zweigeteilt hat. In sorgsam kontrollierten Versuchsanordnungen aber offenbart sich unter Umständen eine merkwürdige Spaltung: Die linke Hälfte des Gehirns weiß nicht, was die rechte tut und umgekehrt. Überlebt die ursprüngliche Person mit dem intakten Gehirn die Operation überhaupt? Und wenn ja, welches Ich ist sie dann nach der Operation, wenn man davon ausgeht, dass sich anschließend zwei Ichs im selben Körper befinden?

Falls wir uns dafür entscheiden, dass es zwei neue Ichs gibt, was würden wir sagen, wenn das Gehirn weiter unterteilt würde in vier isolierte Hirnabschnitte? Gibt es nunmehr vier Ichs, oder sind die aufgetrennten Einheiten zu verarmt, um ein eigenes Ich zu beherbergen? Wenn wir sagen, dass wir es im Falle der ursprünglichen einmaligen Aufteilung mit zwei Ichs zu tun haben, müssten wir dann auch sagen, dass diese beiden Ichs bereits vor der Operation in latenter Form existiert haben oder vielleicht in mehr als latenter Form? Diese Fragen werfen Rätsel auf, für die es keine befriedigende oder verifizierbare Antwort zu geben scheint. Wir verlieren rasch unseren Zugriff auf die Vorstellung von einem einheitlichen Ich.

Oder denken Sie an eine radikale Amnesie: Bedeutet diese das Ende des Ichs, oder ist es eher so, dass das Ich überlebt, wenn auch ohne all seine früheren Erinnerungen? Was ist, wenn der Charakter der Person ebenfalls verloren geht und womöglich durch einen ganz anderen ersetzt wird? Ist das noch immer Tante Agathe, oder hat irgendeine neue Persönlichkeit von ihrem einstigen Körper Besitz ergriffen? Was ist, wenn die fragliche Person ein ganzes Arsenal an neuen Erinnerungen mitbringt, die vielleicht zum Leben eines anderen gehören? Haben wir es nun mit Agathe zu tun oder mit Enid, der Person, deren Leben zu den nun vorhandenen Erinnerungen gehört? Kann das Ich etwas sein, das weit über einem bestimmten Gefüge aus Erinnerungen und Charakterzügen steht? Könnte nicht eine Reihe von Leuten dieselben Erinnerungen und Charakterzüge miteinander teilen? Habe ich meine Erinnerungen und Charakterzüge nicht nur, statt sie zu sein? Wenn dem so ist, kann ich dann nicht existieren, auch ohne dass ich jene Erinnerungen und Charakterzüge habe? Wieder stellen uns diese Fragen vor unlösbare Rätsel. Wir haben keine Vorstellung davon, was man braucht, um diese Fragen zu lösen.

Süchtige Anhänger der Fernsehserie Raumschiff Enterprise waren Zeugen vieler hundert Teletransporte. "Beam me up, Scottie", befiehlt Captain Kirk, und schon erscheint er im Transporterraum, materialisiert sich in Lebensgröße einfach aus der Luft. Oder nicht? Ist er wirklich er oder einfach nur jemand, der ihm bemerkenswert ähnlich sieht? Ist es vielleicht nur ein Double des großen Mannes, was sich da zur Existenz verdichtet, gar nicht der Captain selbst, der zu Grunde ging, als sich seine Partikel beim Übergang verflüchtigten? Wir erfahren nicht allzu viel über die Mechanismen des Teletransports, doch vermutlich gehören dazu die totale materielle Desintegration und eine erneute Rekonstruktion am Zielort. Wurden die Originalpartikel aus dem Körper des Captains in einem handlichen Päckchen (mit einer Art futuristischem UPS) durchs All geschickt und dann in ihrer alten Gestalt wieder zusammengefügt, oder werden neue Partikel benutzt, um jenen Doppelgänger zu bilden, der soeben selbstzufrieden die Transporterkammer verlässt? In jedem Falle ist nicht klar, ob wir am Anfang und am Ende dieselbe Person vor uns haben. Wenn ich Sie eines Tages zu feinem Pulver zermahle, dieses ein Jahr lang in einer Dose aufbewahre und dann wieder zu einer Person zusammenfüge, die genauso aussieht wie Sie, sind Sie das?

Was, wenn ich die Partikel verlegt habe und stattdessen die von einer alten Eiche nehme, um jemanden zu schaffen, der genauso aussieht wie Sie, sind Sie das? Oder nehmen Sie an, ich fertige aus Ihrer ursprünglichen Materie zwei Exemplare von Ihnen an, jedes halb so groß wie das Original: Ist einer von den beiden Sie, und wenn ja, welcher? Sie können nicht beide Sie sein, denn sie sind nicht ein und dieselbe Person, sondern nur genau die gleichen Personen. Wenn Sie einmal genauer darüber nachdenken, können Sie wirklich nicht sagen, ob Teletransport die betreffende Person zerstört und an ihrer Stelle eine neue entstehen lässt oder ob dabei irgendwie die Existenz der ursprünglichen Person erhalten bleibt. Existiert der Captain während der paar Sekunden, die es braucht, "ihn" von seinem Ausgangspunkt in den Transporterraum zu bekommen? Wenn nicht, wie kann die erscheinende Person immer noch er sein? Ist das Auferstehung oder Verdopplung?

Noch ein weiteres Science-Fiction-Beispiel mag Ihren Glauben, Sie wüssten, was für ein Ding das Ich ist, erschüttern. Nehmen Sie an, winzige intelligente Außerirdische beschließen, die Erde zu erobern. Statt uns mit konventionellen Mitteln - Strahlengewehren, Lasertorpedos und Ähnlichem - zu unterwerfen, entscheiden sie sich dafür, uns als Parasiten zu befallen. Sie dringen in unsere Blutbahn ein und arbeiten sich ins Gehirn vor. Dort schlagen sie, mit all ihrer verfügbaren Nanotechnologie ausgerüstet, ihr Lager auf. Wir merken nicht das Geringste, denn sie sind darauf bedacht, dass ihre Anwesenheit nicht auffällt. Dann ordnen sie jeder Zelle des menschlichen Gehirns jeweils einen aus ihrer Mitte zu mit der Mission, jedes Neuron nach einem festgelegten Plan zu steuern. Jeder menschliche Schädel ist nun mit vielen Millionen winziger Außerirdischer von überlegener Intelligenz angefüllt. Sie übernehmen Hirnfunktionen, entscheiden über das einzurichtende Muster an interneuronaler Kommunikation. Ihr langfristiger Plan besteht darin, uns zu einer Spezies von Sofahockern zu machen, denen das Schicksal ihres Planeten und ihrer selbst gleichgültig ist. Dementsprechend statten sie uns mit einer innigen Vorliebe für Seifenopern und Sitcoms von entschieden minderer Qualität aus sowie mit einem unersättlichen Appetit auf Junk Food und musikalische Dauerberieselung (Klingt Ihnen das allzu vertraut? Ob sie schon hier sind?). Ihr endgültiges Ziel ist es, unsere Fähigkeit zu intelligentem Handeln so zu reduzieren, dass sie ohne jeden Widerstand unsererseits mit ihren großen Raumschiffen landen und den Planeten besetzen können. Seit Monaten betreiben sie unsere Gehirne so, kontrollieren sie unsere Psychologie in der von ihnen gewünschten Weise. Wir fangen an, virtuellen Zombies zu gleichen.

Sind Sie nun sicher, dass Sie noch existierten, falls diese Geschichte wahr wäre? Haben die Außerirdischen Sie nicht einfach durch sich selbst ersetzt, Sie in einen von tausendfachem Geist beseelten Homunkulus verwandelt? Andererseits haben Sie trotz ihres sich zurückbildenden Verhaltens nichts davon gemerkt. Was Sie betrifft, so sind Sie einfach nur Sie selbst mit einer drastisch reduzierten Fülle von Erwartungen an Ihr Leben. Ist das jedoch vielleicht eine Illusion? Was, wenn die Wesen in Phase zwei ihres Plans beschlossen haben, Ihr Hirngewebe aufzufressen und durch Nanotechnologie-Einheiten zu ersetzen, weil diese einfacher zu unterhalten sind? Womöglich bewerkstelligen sie den Ersatz Ihrer Einzelteile, ohne dass Sie etwas davon merken, wenn Sie schlafen womöglich. Nach wenigen Wochen besteht ihr vormaliges Gehirn aus einem wilden Geschnatter von Silikonsurrogaten außerirdischen Designs, jedes Einzelne von einem kleinen grünen Männchen betrieben. Haben sie uns ausgelöscht oder uns nur einen leistungsfähigeren Kopfapparat verpasst? Die Antwort hierauf ergibt sich keineswegs von selbst. Wir haben wirklich keine Vorstellung davon, ob das Ich derart seltsame Veränderungen der körperlichen Natur verkraftet. Das Ich-Konzept gerät in solchen Fällen aus den Fugen.

Um für einen Augenblick zur Erde zurückzukehren: Sind Sie überhaupt sicher, dass Sie wissen, wann im Verlauf eines normalen Menschenlebens das Ich beginnt und wann es endet? Die Abtreibungsdebatte steckt in einer ausweglosen Kontroverse über die Frage, wann ein menschliches Ich beginnt. Ab welchem Punkt wird eine Ansammlung von Gehirnzellen mit einem Selbst, einem bewussten Subjekt assoziiert? Über diese Frage besteht absolut keine Einigkeit, einige stehen auf dem Standpunkt, dies sei im Augenblick der Empfängnis der Fall, andere halten dagegen, das wahre Ich beginne erst mit dem Zeitpunkt der Geburt. Die fundamentale Frage aber lautet, wann wird ein Haufen Zellen überhaupt zu einem Ich: Was wandelt biologisches Gewebe in jenes Ich, das Descartes so beeindruckte?

Tatsache ist, dass es keinerlei wissenschaftliche Kriterien für das Erscheinungsdatum des Ichs gibt; alles, was wir haben, sind windige Vermutungen darüber, wann man den Beginn des Ichseins anzusetzen hat. Großenteils das Gleiche gilt für die Auslöschung des Ichs. Der biologische Tod scheint hinreichend, das Ich zu vernichten, wie aber steht es mit den verschiedenen Arten von Senilität und Gehirndegeneration? Setzt eine schwere Alzheimererkrankung dem Ich ein Ende, oder verändert sie es nur? Was ist mit einem tiefen Koma? Wir sind, sogar auf praktischer Ebene, zutiefst im Unklaren darüber, ob jemand noch existiert. Da ist der Körper, erkennbar derselbe; aber ist noch dieselbe Person da drin?

Worauf ich hinaus will, ist, dass wir nicht genügend darüber wissen, was das Ich ist, um diese Arten von Fragen zu beantworten. Wir wissen nicht genug über das, was einem Ich zur Existenz verhilft. Und das bedeutet, dass es Fakten über das Ich gibt, die wir nicht begreifen. Die Vorfahren mahnten uns: "Erkenne Dich selbst!" Das ist gut und schön als praktischer Ratschlag, wenn dies bedeuten soll, sich seiner Motive, Talente und Schwächen bewusst zu werden, aber auf eine sehr fundamentale Art kennen wir uns nicht. Der Hauptaussage dieses Buches zufolge wird diesem Unwissen auch nicht abgeholfen werden können. Fragen über das Ich, wie ich sie eben aufgeworfen habe, stürzen uns in tiefe Verwirrung, eben weil wir so wenig darüber wissen, was ein Ich ist. Um diese Fragen beantworten zu können, müssten wir die Geheimnisse des Ichs kennen, aber die bloße Existenz und Hartnäckigkeit der Fragen zeigt uns, wie weit wir davon entfernt sind, diese Geheimnisse aufzudecken. Vielleicht können wir uns also nicht erkennen, nicht im tiefsten Inneren. Wir können wohl erkennen, dass wir existieren, aber wir können das uns eigene Wesen nicht begreifen.

Meine Vermutung ist, dass unser diesbezügliches Unwissen eine Unkenntnis der verborgenen Architektur des Ichs reflektiert. Irgendetwas an der verborgenen Struktur des Ichs bestimmt dessen Einheit und Identität, aber wir können diese verborgene Struktur nicht wahrnehmen, und deshalb können wir Fragen über dessen Einheit und Identität in keiner Weise zuverlässig beantworten. Es ist nicht so, dass wir das Wesen des Ichs kennen und nur nicht wissen, unter welchen physikalischen Bedingungen es existiert; wir sind vielmehr im Unklaren darüber, was das Ich eigentlich ist. Deshalb tendieren wir dazu, es als eine Art ausdehnungslosen Punkt zu sehen, als ätherische Wäscheklammer, an der Bewusstseinszustände festgemacht sind. Wir haben keine substanzielle Vorstellung davon, was für eine Art Ding das Selbst ist. Wir sind geneigt, das Ich einfach als das zu sehen, auf das "ich" sich bezieht. Die Verschwommenheit unseres Begriffs vom Ich zeigt, wie wenig wir von seiner Natur erfassen. Wir kennen natürlich viele Eigenschaften des Ichs - Biographien sind voll von solchen Eigenschaften; doch was ich sagen will, ist, dass wir nicht wissen, worin das essenzielle innere Wesen des Ichs besteht.

Wenn diese Ansicht richtig ist, dann ist das Ich eine paradoxe Einheit: Es ist das bestbekannte Ding der Welt und gleichzeitig das am wenigsten bekannte. Wir können mit einer gewissen Bestimmtheit seine Existenz erkennen, aber wir wissen so gut wie nichts über sein Wesen. Wir wissen mit Gewissheit, dass es ist, aber wir sind bedauerlich unwissend bezüglich dessen, was es ist. Natürlich neigen wir dazu zu glauben, dass wenn die Existenz des Ichs so erkennbar ist, sein Wesen ebenso erkennbar sein müsse. Doch kaum ist dieser Schluss formuliert, so leuchtet bereits ein, wie falsch er ist: Zu erkennen, dass das Ich über die Eigenschaft einer Existenz verfügt, ist etwas ganz anderes, als zu erkennen, über welche anderen Eigenschaften es verfügt.

Ich habe den Verdacht, dass wir einen Hang haben, unsere Kenntnis des Ichs zu übertreiben, der uns den Eindruck vermittelt, das Ich könne den körperlichen Tod überleben. In Unkenntnis dessen, was das Ich an den Körper bindet, tendieren wir dazu anzunehmen, dass nichts dies tue, dass die beiden zufällig miteinander verbandelt sind; daher die Vorstellung, dass das Ich unsterblich ist, während der Körper nur allzu sterblich ist. Doch wir sollten diesem Eindruck von Lösbarkeit argwöhnisch gegenüberstehen, denn vielleicht entsteht er einfach aus der Unfähigkeit, die notwendigen Bande zu erkennen, die das Ich am Körper festmachen. Das Ich hat, genau wie das Bewusstsein, seine Wurzeln im Gehirn und damit in der materiellen Welt. Da wir nicht erfassen können, wie diese Wurzeln sich in den Windungen des Gehirns festkrallen, neigen wir dazu anzunehmen, dass es überhaupt keine tiefere Verbindung gibt. Das ist ein Fehler, wenn auch ein verständlicher.

Die gute Seite dieser Unkenntnis besteht darin, dass sie uns in die Lage versetzt, dem zu widerstehen, was anderweitig als zwingendes Argument scheinen müsste. Manche Denker haben versucht, Zweifel an der Existenz eines einheitlichen Ichs und damit an einem fundamentalen Bestandteil der Art und Weise, wie wir uns selbst empfinden, heraufzubeschwören, indem sie darauf hinwiesen, dass unser Wissen über das Gehirn keinen eindeutigen Lokus ausweist, an dem das Ich seinen Sitz haben könnte. Das Gehirn ist nur eine Föderation aus lauter einzelnen anatomischen Regionen, jede davon einer bestimmten Funktion gewidmet; es gibt kein einzelnes Areal, in dem ein Etwas mit dem Namen Ich lokalisiert sein könnte. Das Ich ist bestenfalls eine Summe dieser einzelnen Einheiten, im schlimmsten Falle ist es ein reines Produkt der Fantasie. Das Problem an dem Argument aber ist, dass es so tut, als wüssten wir mehr über das Gehirn und das Ich, als dies in Wirklichkeit der Fall ist. Unser gegenwärtiges Wissen über das Gehirn bringt in der Tat kein Einheit stiftendes physiologisches Prinzip ans Licht, das der Idee von einem einheitlichen Ich nahe käme, doch lässt sich das auch so interpretieren, als zeige dies nur, dass unser Wissen sehr begrenzt ist, weshalb sich dieser Umstand nicht als Beweis für die Nichtexistenz eines einheitlichen Ichs eignet. Ein umfassenderes Wissen über das Gehirn würde - so es uns zugänglich wäre - vielleicht eine solide Basis für die Vorstellung von einer persönlichen Identität ergeben. Nicht minder wahr ist, dass unsere gegenwärtigen Konzepte uns keinerlei Hinweis darauf geben, woraus die Einheit des Ichs bestehen sollte. Doch auch das lässt sich wiederum als Wissenslücke sehen statt als Bruch in der Idee von einem einheitlichen Ich. Wir müssen nicht in der Lage sein, den Begriff von einer Einheit der Person aus unseren gegenwärtig vorhandenen theoretischen und empirischen Ressourcen zu konstruieren, um zu glauben, dass diese Vorstellung über ein reales Gegenstück in der Natur des Ichs verfügt. Die Ansicht, dass nur Dinge existieren, die sich aus unseren gegenwärtigen (oder auch nur möglichen) konzeptuellen Ressourcen erklären lassen, ist reinster Dogmatismus. Tatsächlich ist sie nicht weit von der Vorstellung entfernt, dass der menschliche Geist das Maß aller Wirklichkeit darstellt - ein bemerkenswert anthropozentrischer Standpunkt. Wir sollten die Demut, ja schlicht die Vernunft besitzen, uns dazu zu bekennen, dass manche Dinge existieren können, ohne dass wir im Stande sein werden, sie zu ergründen.


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