Aus der Schreibwerkstatt (August 2021)

Ausschnitt aus dem Roman "Ein blauer Tag" (11. Kapitel)









(Stand: 22.8.21)



Er ist weg. Aufs Klo? (Sie wartet vier Minuten oder fünf. Raucht. Trinkt den Rest von seinem Bier, das noch da steht. Und den Whisky vom Nebentisch, an dem gerade keiner sitzt.) wo bleibt der idiot jetzt komm schon ich muss auch der ist scharf auf mich merk ich doch und wo steckt er jetzt (sie zündet sich noch eine an, aus der Schachtel, die er liegen lassen hat) ist er weg? glaub ich nicht geil wie der ist.

Echt weg das arschloch sowieso alles arschlöcher hier filippo sowieso die dumme sau blöde idee herzukommen gibt eh nur streit hätt ich mir denken können und jetzt: alle blau (ich auch, was tut’s) und eine scheißmusik was für girlies bloß der typ da der lange scheiße wie heißt er noch einen kurzen namen hat er fritz oder fred oder hans. nein hans nicht. wurscht.

Weg ich glaubs nicht mal zum klo schauen ich muss eh oder ist er mit einer andern? nein hätt ich mitgekriegt was glaubt der wer er ist meint er kann mich einfach hier so sitzen lassen wieso ist der weg. ist ihm jetzt der arsch auf grundeis oder was hab ich das bübchen verschreckt ach gott freund, ich such dich und find dich und dann pack ich dich am arsch lieber gleich am schwanz da kannst du was erleben du willst doch was erleben oder hab ich doch gemerkt tu nicht so. haut einfach ab das gibt’s ja nicht warte nur. scheiße besetzt. vielleicht ist er beim … nein bloß sone dumme tussi. schnell jetzt. so ein vollgeiler typ wie groß der ist hach beachtlich an dem ist was dran der würd jetzt reinpassen. dumme sau vielleicht ist er ja noch irgendwo hier vor der tür. schifft in den vorgarten (oder reihert) hehe geniert sich aber nicht doch mama kümmert sich um dich wo bist du denn huuhu süßer.

Ist das scheißkalt und wie’s hier stinkt können die nicht woandershin seichen (sie rülpst in die kalt beleuchtete Gartenstadtöde) die luft tut gut huh da dreht sich die welt. kein schwein da weit und breit (wenn einer breit ist bins ich). doch! da vorne an der ecke geht einer scheiße das ist er da ist er ja wo geht er hin steigt ein der will autofahren blau wie der ist ah das jüngchen leistet sich einen herausgeputzten hochnoblen oldtimerkäfer chrom hinten und vorn das hat was gekostet die kutsche so herzurichten was. aber geschmack hat er die farbe ist gut, he warte! piekfeines kerlchen hat geld wie heu und so was entgeht mir. nein der nicht. He! der hört mich nicht dich lass ich nicht so leicht aus das glaubst auch nur du dass du mir so davonkommst und wenn du besoffen wie du bist autofahren kannst kann ich das schon lange du pfeife da machst du mir nichts vor blöd werd ich sein und mir den jetzt durch die lappen gehen lassen. meine lappen wirst du kennenlernen du lapp. lappschwanz. na das werdn wir noch sehn wär ja gelacht.

(Ihr Auto steht nicht weit entfernt, schräg auf dem Gehsteig der anderen Straßenseite. Sie steigt ein, verblüffend sicher, geradezu elegant, greift sich die halbvolle Puschkinflasche vom Beifahrersitz und belauert, was draußen geschieht.)

Tölzer kennzeichen umso besser also nicht in die Stadt der wird sich wundern da draußen wenn er aussteigt und ich bin auch da hase und igel haha viele hunde sind des hasen tod. hasenarsch. wart nur der hund bleibt dir auf den fersen. hündin. du hund. da wirst du augen machen wer zuletzt lacht. schnell bevor er weg ist.

(Sie dreht das Radio an, birth control, endlich Musik, die ihr zusagt. Lärmend schlingert sie durch die Nacht. Was tut der Puschkin gut, der wärmt ihr das Herz und anderes.)

Wo fährt er denn jetzt hin – in den wald? ja kerl ich fahr mit dir in den wald hey komm raus wir machens im wald. im stehn haha. liegt ja überall schnee scheißfinster ist es hier wo wohnt der denn irgendwo in der pampa so finster und auch so bitterkalt hu, hu, da schaut eine alte Hexe raus, sie lockt die kinder ich lock dich in mein pfefferkuchenhaus wirst schon sehen geiler bock du, halt doch endlich an du musst doch auch irgendwann mal oder nicht nachdem was du gesoffen hast. ich jedenfalls. blöd dass überholen nicht geht (oder doch? Sie setzt an) scheiße nein. würd ihn gern ausbremsen hier im wald mir ist heiß fenster runter o nein jetzt fängts zum schneien an. der fährt nur nebenstraßen wird schon wissen warum ist mir grad recht o mist da oben sind die bullen hoffentlich fährt er da nicht rauf. ach der ist viel blauer als ich. bläuer. ich verbläu dich wenn du jetzt nicht bald anhältst mir kommts gleich zu den ohren raus du sack. Und dann vergehts mir das hast du dann davon schon wieder durch den wald bergab oha obacht jetzt ist das kurvig hier langsam langsam mädel wo fährt mich das aas bloß hin. und was ist das, ein schloss? da sind wieder straßenlaternen scheißegal ich muss auf der stelle sonst zerreißts mich ich brunz denen jetzt aufn parkplatz (sie biegt auf den mit Bäumen bestandenen, beleuchteten Platz ein, hält an, steigt aus, hockt sich neben das Auto, gibt einen langen, lauten Seufzer der Errettung von sich) was schneit‘s jetzt so blöd und nebel hat’s auch so eine scheiße aber er kann ja auch nicht schneller.

(Wie sie die Hose hochzieht, schlägt eine Turmuhr zweimal. Halbirgendwas. Zu sehen ist nichts, natürlich nicht, Nebel über ihr, neben ihr, in ihr, auf der Straße die Spuren des Wagens, dem sie gefolgt ist. Ringsum Nacht, aber keine Stille, im Hirn quasselt es weiter und weiter. Das Denken – wenn man das, was in ihrem Kopf vor sich geht, so nennen mag – kommt ins Stolpern, endlich, reißt ab, verebbt, erlöscht. In diesem Augenblick hört sie ein dumpfes Geräusch. Oder glaubt es zu hören. Wie ein fernes Poltern und Knacken. Ein Schleifen. Ein Klirren. Ganz matt, ganz fern, gebändigt vom Nebel. Was war das? Haben die im Schloss auch gefeiert? – oder Kloster, oder was das hier ist. Oder kam das von drüben, von der anderen Isarseite? Was eben noch Hitze in ihr war, verraucht, verfliegt. Fehlt noch, dass der an einen Baum gefahren ist, Depp, besoffener. In solchen Schreckmomenten würde man schlagartig nüchtern, heißt es. Davon bleibt sie verschont. Egal, in der Klosterküche wird eine Kaffeekanne auf den Boden gefallen sein. Oder so. Es ist ihr sowas von wurscht, ihr ist speiübel, alles tanzt, der Nebel, die Laternen, die Spuren im Schnee, die Bäume, die da stehen, wo sie angehalten hat. Und jetzt? Hinüberfahren? Sie lehnt sich an einen der schwankenden Baumstämme und kotzt. Die Hälfte fällt ihr auf die Schuhe. Scheiße! Gegenüber geht quietschend ein großes Gartentor auf. He, Sie! ruft es von drüben. Im Licht einer Straßenlaterne sieht sie schemenhaft eine große Figur, die etwas Langes in der Hand hält, wie der leibhaftige Sensenmann sieht das Gebilde mit der Kapuze aus, schwarz und dräuend, und der schickt sich auch noch an über die Straße zu kommen. Schreck durchfährt sie, die Bilder vermischen sich: die nächtliche Gestalt, das Wahnbild, der Tod schaue ihr beim Pissen zu, das hat ihr noch gefehlt, was für eine Nacht! – Hau ab! fick dich! – angriffslustig verdreht sie die Angst, die ihr die gespensterhafte Erscheinung einjagt, in Wut, erbittert schreit sie hinüber zu dem Schein der Lampe, durch den die Flocken schwanken. Sie sieht jetzt, dass sie bei einem Kloster gelandet ist. Von den Mönchen weiß man so allerhand. Scheißspanner! mich hier beim schiffen anglotzen und dir einen runterholen, was! Kuttenbrunzer! bloß weg von da, bevor mich der noch … Sie setzt sich ins Auto und fährt, über den Parkplatz schlitternd, los, schnell noch einen Schluck Puschkin.)

Was mach ich‘n jetzt ich kann doch so nicht rüberfahren wie das stinkt der dings will doch so nichts mehr von mir. ich auch nicht (den fernen Lärm hat sie wieder vergessen, wie einen Traum, der beim Aufwachen schon verflogen ist, war da was?) der kann sowieso nicht mehr der muss erst seine karre … (sie ist bodenlos betrunken; ein Stück die Straße runter, nicht mal einen Kilometer, ist auf der anderen Seite ein zweiter Parkplatz, schwach beleuchtet und leer, was für ein Glück, sie fährt hinein, hält irgendwo, irgendwie an, stellt den Motor ab. Auch das Licht auszuschalten meistert sie. Wieder vergeht ihr das Denken, bunte Bildchen schaukeln ihr durchs Gemüt: das Fest, der Typ mit dem kurzen Namen, der Käfer, der Sensenmann. Dann ist Feierabend, das Auto ist warm, die Blase leer, ebenso das Hirn. Eine abgrundtiefe puschkindurchtränkte Trägheit sickert in sie ein, narkotisiert sie. Ein letzter blinder Blick in den Nebel, dann fällt sie – mit offenem Mund – in einen todesgleichen Schlaf.)






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