Leseprobe aus: Marguerite Yourcenar, Der Fangschuss



SZ-Bibliothek-Ausgabe, S. 20






Warum verlieben sich Frauen immer wieder in Männer, die das Schicksal ihnen nicht bestimmt hat, so dass diesen nur die Wahl bleibt, wider das eigenen Wesen zu handeln oder sie zu hassen? Am Tage nach meiner Rückkehr glaubte ich Sophies wiederholtes tiefes Erröten, ihr plötzliches Verschwinden und jene schrägen Blicke, die so schlecht zu ihrem geraden Wesen passten, als Zeichen einer leichten Verwirrung deuten zu dürfen, die bei einem jungen Mädchen, das sich in aller Harmlosigkeit von einem Neuankömmling angezogen fühlt, nur allzu natürlich war. Später als ich von ihrem Missgeschick wusste, lernte ich jene Zeichen einer tödlichen Erniedrigung, die auch in Gegenwart ihres Bruders zum Vorschein kamen, weniger unzutreffend zu beurteilen. Ich habe mich aber allzu lange mit der zweiten, richtigeren Auffassung zufriedengegeben; und während ganz Kratovice gerührt oder erheitert von Sophies Leidenschaft für mich sprach, glaubte ich immer noch an das junge verstörte Mädchen. Es dauerte mehrere Wochen, ehe ich begriff, dass diese bald blassen, bald geröteten Wangen, dies Zittern und der zugleich beherrschte Ausdruck von Gesicht und Händen, dies plötzliche Verstummen und Sichüberstürzen etwas anderes als bloße Scham und mehr als bloßes Verlangen bedeuteten. Ich bin nicht eitel, was einem Mann leichtfällt, der die Frauen verachtet und der, um sich in dieser Meinung zu bestärken, nur mit den schlechtesten zu verkehren pflegt. Ich musste daher Sophie falsch verstehen - und das umso mehr, als sie durch ihre zärtlich rauhe Stimme, ihr kurzes Haar, ihre kleinen Blusen und ihre großen, immer lehmverkrusteten Schuhe auf mich wie ein Bruder ihres Bruders wirkte. Ich irrte mich, dann begriff ich meinen Irrtum, und schließlich entdeckte ich hinter eben diesem Irrtum das einzig wesentliche Stück Wahrheit, das ich in meinem ganzen Leben kennengelernt habe. Einstweilen hielt ich oberflächlich gute Kameradschaft mit Sophie, wie ein Mann sie mit einem Jungen hält, den er nicht liebt. Dieses so falsche Verhältnis war für Sophie umso gefährlicher, als sie, die in der gleichen Woche wie ich geboren war und somit unter den gleichen Sternen stand, keineswegs weniger, sondern eher mehr Unglück erlebt hatte als ich. Sie war es denn auch, die von einem gewissen Augenblick an die Führung des Spiels übernahm - mit großer Vorsicht, da sie um ihr Leben spielte. Überdies war meine Aufmerksamkeit notwendigerweise geteilt, während sie mit Leib und Seele bei der Sache war. Für mich gab es Konrad und den Krieg und ein paar ehrgeizige Wünsche, die ich mir seitdem aus dem Kopf geschlagen habe. Für sie gab es sehr bald nur noch mich, als wären die übrigen Menschen um uns herum nur dazu da, die Staffage für die beginnende Tragödie abzugeben. Sie half der Magd in der Küche und im Hühnerhof, damit ich mich sattessen konnte, und nahm sich Liebhaber, um mich eifersüchtig zu machen. Ich musste notgedrungen das Spiel verlieren, in welchem Sinne auch immer; und ich musste das ganze Gewicht meines passiven Widerstandes aufbieten gegen das Gewicht dieses Geschöpfes, das unaufhaltsam auf sein Verhängnis zusteuerte.

         
         
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