Biologisch-dynamische Gemüsezüchtung

 

Grundlagen – Ziele – Methoden

 

1.    Die Ausgangslage

Forschung und Saatzucht innerhalb der Pflanzenzüchtung sind die Grundlage aller land­wirtschaftlichen und gärtnerischen Erzeugung und damit unserer Ernährung. Bislang ist der ökologische und biologisch-dynamische Landbau größtenteils auf Sorten aus konventioneller Züchtung und oft nur einjähriger ökologischer Vermehrung angewiesen.

Kultursaat e.V. betreibt seit 1994 Züchtungsforschung an Gemüse in biologisch-dynamischen Betrieben. Der als gemeinnützig anerkannte Verein verfolgt Züchtungsziele im Sinne einer höchstmöglichen Qualität für die menschliche Ernährung.

Dabei geht es ihm neben der Entwicklung adäquater Sorten für den biologischen Anbau auch um grundlegende Forschung zur Nahrungspflanzenzüchtung und ihrer Methoden, sowie die Erhaltung und den Ausbau der biologischen Vielfalt und die Erhaltung des freien Zugangs zu den Sorten.

Hatten die ursprünglichen Methoden der Auslese noch einen unmittelbaren Zusammenhang mit der landwirtschaftlichen Praxis und waren für den Anbauer jederzeit nachvollziehbar, so sind die modernen Verfahren von der bäuerlichen und gärtnerischen Praxis entfremdete Vorgänge. Ein Jahrhundert hat es gedauert, um über die Entwicklungsschritte Kombinationskreuzung, Hybridzüchtung und Gentechnik dem Gärtner und Bauern die Verfügung über seine Sorten vollständig aus der Hand zu nehmen. Selbst wenn der Anbauer noch die Techniken der Auslese und Vermehrung beherrschte, so stünde er heute dem Patentschutz und den zur Weiterzucht untauglichen Hybriden nahezu hilflos gegenüber.

Gerade die letzte und höchste Stufe der Entfremdung, die Gentechnik, stellt die größte Herausforderung dar. Die Folgen, welche durch den unmittelbaren gentechnischen Eingriff und das Mischen der Gattungen, Familien, Ordnungen, Klassen und sogar Naturreiche entstehen, sind unüberschaubar, der freizügige Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen deshalb unverantwortlich. Angesichts der Durchbrechung Jahrtausende alter Ordnungen wären nur solche Schritte zu verantworten, die wirklich verstanden wurden und überschaut werden können. Davon ist die konventionelle Pflanzenzüchtung weit entfernt.  In der leichtfertigen unbegrenzten „Kombination der Gene“ ist ein Verantwortungsbewusstsein der Handelnden nicht zu bemerken.

Wird der heutigen Entwicklung nicht entgegengewirkt, sterben samenfeste Kulturpflanzensorten, diese Urbilder der Nachhaltigkeit, aus, denn die „modernen“ Züchtungsmethoden führen jede Pflanzengeneration in ihre eigene Sackgasse. Der Jahrtausende alte Lebensstrom der Kulturpflanzen zerbricht jedes Jahr aufs Neue an der Mauer aus Hybridtechnik und Patentschutz.

Dieser Umgang mit dem Lebendigen birgt eine große Gefahr für das Denken der Menschen. Das Vorhandensein gentechnisch veränderter Organismen erbringt scheinbar den „Beweis“, dass allem Leben nur Mechanisches zugrunde liege. Die Betrachtungs­weise der Gentechnik missversteht Lebenszusammenhänge als lediglich physikalisch-­chemische Prozesse und führt von diesem eingeschränkten Standpunkt zu Verfahren und Ergebnissen, die ökologisch wie sozial äußerst problematisch sind. Die Gentechnik wirkt außerordentlich befestigend auf das materialistisch-mechanistische Weltbild unserer Zeit. Die ganze Welt wird zu einem Baukasten gemacht.

Dies hat massive soziale Folgen: Die Monopolisierung der Kulturgüter Nahrungspflanze, Haustier, Menschentum wird durch die Gentechnik konsequent zu einem absurden Ende geführt. Die „Lebensindustrie“ ist im Begriff, nach der absoluten Verfügungsgewalt über das Leben zu greifen, dem Einzelnen wird immer weniger Einfluss zukommen.

Der ökologische und biologisch-dynamische Landbau braucht eine eigene Züchtung.

 

2.    Eine Kulturaufgabe

Der auf den von Rudolf Steiner geschaffenen Grundlagen aufbauende biologisch-dynamische Landbau mit seinem umfassenden, ganzheitlichen Ansatz hat einen völlig anderen Begriff von Pflanzen­züchtung entwickelt. Für ihn sind es nicht die „Gene“, die den Organismus der Pflanze definieren, vielmehr ist diese genetische Grundlage nur die physische Basis, auf der sich die Pflanze im lebendigen Austausch mit ihrer Umwelt sich selbst bestimmend weiter entwickelt. Biologisch-dynamische Züchtung schafft daher äußere Bedingungen für diese Weiterentwicklung von Lebewesen. Sie setzt eine bis in Urzeiten zurückreichende schöpferische Leistung der Menschheit fort, die Züchtung und Erhaltung von Nahrungspflanzen.

Diese besonderen, dem Menschen angenäherten Pflanzen wurden Jahrtausende hindurch angebaut, erhalten und weiter entwickelt, indem ihre Eigenart gepflegt und von ihnen Saatgut gewonnen wurde. Im Gegensatz zur Wildpflanze, die durch Jahrtausende in ihre bestimmte Umwelt eingepasst und dadurch zum Spezialisten der Anpassung an die Verhältnisse eines Ortes geworden ist, ist die Kulturpflanze durch züchterischen Einfluss fähig geblieben auf den verschiedensten vom Menschen gestalteten Standorten zu gedeihen.

Um diese Fähigkeit zu erhalten und fortzuführen, brauchen die Kulturpflanzen die Betreuung und die Begleitung des Menschen. Bemüht sich nicht jede Generation erneut um die Erhaltung und eine ihrem Wesen entsprechende Entwicklung, geht die Qualität einer Sorte oder sogar einer ganzen Art verloren.

Auch in den Zeiten gentechnisch veränderter Pflanzenorganismen bezieht sich der Begriff „Neuzüchtung“ lediglich auf die Veränderung bereits vorhandener Kulturformen. Die vor Jahrtausenden entstandenen Kulturpflanzen dienen bis heute als Grundlage zur Weiterentwicklung unserer Nahrungspflanzen. Diese Tatsache sollte uns nicht nur erstaunen, sondern uns auch das gewaltige Ausmaß unserer Verantwortung erkennen lassen.

Das Gefühl für den kulturellen Gehalt der Arbeit am Saatgut, wie der landwirtschaftlichen Tätigkeit allgemein, scheint der konventionellen Pflanzenzüchtung verlorengegangen zu sein. Dass die aus dieser kommerziellen Art der Züchtung hervorgehenden Sorten immer weniger mit den Zielen des ökologischen und biologisch-dynamischen Landbaus harmonieren können, liegt auf der Hand. Dieser begreift Kulturpflanzen als Lebensmittel, die dem Menschen die Grundlage für seine Denk-, Empfindungs- und Willenstätigkeit vermitteln. Sie sind damit weit mehr als nur ein Produktionsmittel.

Die Züchtung nach biologisch-dynamischen Gesichtspunkten zielt auf eine gute Eignung der Pflanze für eine menschengemäße Ernährung, aber auch auf eine gute Anbaueignung. Im Vordergrund stehen die Ernährungsqualität sowie die Anpassungs- und Entwicklungsfähigkeit der Pflanzen unter regionalen Bedingungen.

Saatgutpflege und Sortenzüchtung ist eine kulturelle Herausforderung, die wir als solche erkennen und ergreifen müssen.

 

 

3.    Der Verein

Bereits vor Jahrzehnten, als die dramatischen Ausformungen der konventionellen Saatzucht noch gar nicht erahnt werden konnten, fingen einzelne Gärtner und Landwirte, welche eine andere Vorstellung vom Wert des Saatgutes hatten, an, sich um diesen Themenkreis zu kümmern und versuchten, zu einem eigenen Verständnis der Naturvorgänge um Fruchtung, Samenbildung und Aussaat zu gelangen. Das Studium dieser Vorgänge in Verbindung mit der landwirtschaftlichen und gärtnerischen Praxis führte, z.T. bereits in den fünfziger und sechziger Jahren, zu ersten Anfängen züchterischer Bearbeitung bestimmter Gemüsesorten. Insbesondere hat Ilmar Randuja (Ekkharthof/Schweiz) in dieser Zeit mit seiner Züchtungsarbeit begonnen.

Aus diesen Anfängen entstand 1985 der „Initiativkreis für Gemüsesaatgut aus biologisch-dynamischem Anbau“, ein Kreis von zunächst fünfzehn Gemüsegärtnern, die ihre Interessen und Erfahrungen auf diesem Gebiet zusammenführen und weiterentwickeln wollten. Ihr Hauptanliegen war vorerst, konventionelle samenfeste Sorten in ausreichender Saatgutmenge aus biologisch-dynamischer Vermehrung zu erzeugen.

Neben dieser grundlegenden Arbeit hatte man aber stets auch das Ziel, dem biologisch-dynamischen Erwerbsgartenbau ein möglichst großes Spektrum an anbauwürdigen eigenen Neuzüchtungen zur Verfügung zu stellen.

Dieses ehrgeizige Ziel war (und ist!) mit erheblichem zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden. Insbesondere die züchterische Arbeit an einer Sorte stellt einen Bereich dar, in dem erst einmal nur Kosten entstehen und nur geringe Einnahmen zu erwarten sind. Für gute Züchtungsarbeit braucht der Gärtner Zeit, die frei von wirtschaftlichem Druck ist. Nach den Anfangsjahren war man zu der Einsicht gelangt, dass die Aufgaben, die man sich gestellt hatte, vom Initiativkreis in seiner bestehenden Form nicht bewältigt werden konnten.

In dieser Situation wurde 1994 aus der Mitte des Initiativkreises, welcher inzwischen auf 65 Mitglieder angewachsen war, der „Verein zur Förderung der biologisch-dynamischen Gemüsesaatzucht“ gegründet. Er trägt heute den Namen „Kultursaat e.V. – Verein für Züchtungsforschung und Kulturpflanzenerhaltung auf biologisch-dynamischer Grundlage“.

 

Die Satzung des Vereins nennt als Ziele die Förderung von Wissenschaft und Forschung. Diese Ziele sollen verwirklicht werden durch:

-         Die Erforschung und Entwicklung neuer Züchtungsmethoden auf der Grundlage goetheanistischer und anthroposophischer Erkenntnisse. Dabei werden auch schon bekannte Methoden weiterentwickelt, indem sie durch neue Erkenntnisse modifiziert werden.

-         Die Erforschung der Zusammenhänge zwischen dem Nahrungsmittel und der menschlichen Entwicklung und der Kenntnisse über die gesundheitsfördernde Wirkung der Kulturarten.

-         Die Erforschung der Besonderheiten vorhandener samenfester Sorten (genetischer Ressourcen) und ihre Weiterentwicklung.

 

 

4.    Die Züchtung

 

Die Schaffung und Entwicklung von Kulturpflanzen aus den wilden Naturformen ist eine historische Kulturleistung des Menschen, die seiner Ernährung dient. Die Züchtung und die zu ihr gehörende Forschung sind Teil der menschlichen Kultur. Das Saatgut der Nahrungspflanzen ist ein Kulturgut.

Die Züchtung für den biologisch-dynamischen bzw. ökologischen Landbau folgt diesem Leitziel. Darüber hinaus stellt sich die Frage, mit welchen Methoden die Züchtungsziele erreicht werden können.

EU-einheitlich wird seit mehr als zehn Jahren der „biologische“ bzw. „ökologische“ Anbau gesetzlich geregelt. Das Regelwerk der Verordnung über den ökologischen Landbau legt ebenso wie die Richtlinien der Öko-Landbauverbände fest, dass – mit gewissen Ausnahmen – Saatgut aus ökologischer Vermehrung zu verwenden ist, wenn die daraus hervorgegangenen Produkte als „biologisch“ gekennzeichnet werden sollen. Doch sagt die Bezeichnung „ökologisch vermehrt“ nichts über Züchtungsgang und -methoden einer Sorte aus. Auf dem mitunter jahrzehntelangen Weg einer Sortenzüchtung ist die Vermehrung des Handelssaatguts nur der allerletzte Schritt. Die vielen davor liegenden Schritte können unter Umständen den Zielen biologisch-dynamischer oder ökologischer Landbewirtschaftung entgegenlaufen.

 

Sorten

 

Was ist eine Sorte?

Das Pflanzenreich wird von der Wissenschaft üblicherweise hierarchisch in Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten gegliedert. Die unterste Stufe bilden die Varietäten einer Art, die jeweils eine ihrer mannigfaltigen Erscheinungsformen beschreiben. Varietäten entstehen durch natürliche Veränderung, z.B. unter unterschiedlichen Umweltbedingungen, aber auch durch das Eingreifen des Menschen. Bewusste Herbeiführung unterschiedlicher Eigenschaften innerhalb von Arten und Varietäten führt zur Entstehung von Sorten. Diese stellen somit eine nochmalige Differenzierung dar, die feinste, welche die Klassifizierung des Pflanzenreiches kennt. Die Varietäten und Sorten einer Pflanzenart sind in der Regel untereinander kreuzungsfähig.

Die vielfältigen Bedingungen, unter denen diese Auslese seit Beginn des Ackerbaus vor Jahrtausenden betrieben wurde, führten zu einer hohen Anpassung der Pflanzenarten an die jeweiligen Anforderungen des Standortes, z.B. Boden oder Klima, aber auch an die Bedürfnisse und Wünsche der züchterisch tätigen Menschen. Diese ununterbrochene Auslese hat zu einer unübersehbaren, hochspezialisierten Sortenvielfalt unserer Nahrungspflanzen geführt. Gleichzeitig haben die Arten in hohem Maße ihre Anpassungsfähigkeit an die sehr unterschiedlichen Kulturbedingungen bewahrt.

 

 

Die Ziele der Züchtung

 

Oberstes Ziel biologisch-dynamischer Pflanzenzüchtung ist das Erreichen einer hohen Nahrungsqualität der Kulturpflanzen. Die Nahrung muss in höchstmöglichem Maße den vielfältigen Bedürfnissen des Menschen entsprechen. Wie definiert sich diese Qualität und wie kann man sie feststellen?

Seit langem ist die Frage nach dem Wesen und der Feststellbarkeit von Qualität ein zentrales Anliegen im biologisch-dynamischen Landbau. Dabei geht es natürlich nicht um einen Qualitätsbegriff, wie er sich in gesetzlichen Verordnungen niederschlägt, etwa in den Normen der Handelsklassen, in welchen Form, Größe, Farbe, äußere Beschaffenheit oder Einheitlichkeit der Nahrungsfrüchte geregelt sind. Weitergehend, aber ebenfalls nicht ausreichend, sind diejenigen Qualitätsdefinitionen, die sich auf chemische und physikalische Analysen von Inhaltsstoffen beziehen. Der Gehalt an Vitaminen und anderen wertgebenden Stoffen sagt zwar sehr viel mehr über die Nahrungsqualität eines Lebensmittels aus als seine äußere Beschaffenheit, dennoch bleiben auch diese Methoden einer gewissen Äußerlichkeit verhaftet. Sie berücksichtigen nicht den Bereich der lebendigen Kräfte in Pflanze und Mensch, sondern betrachten isolierte Inhaltsstoffe, die aus ihrem Gesamtzusammenhang gelöst wurden. Die Ernährung des Menschen reicht weit über diesen rein stofflichen Bereich hinaus. Heute kann dank der Grundlagen, die vor allem auf Rudolf Steiner und Goethes naturwissenschaftliche Arbeiten zurückgehen, in der Qualitätsfrage aus umfassenden ganzheitlichen Ideen heraus gearbeitet werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von goetheanistischen Methoden der Naturerkenntnis.

 

Auf diesen Voraussetzungen aufbauend, setzen zwei neuere Methodenformen der Qualitätserkennung und -bewertung an, die der Forschungsarbeit von Kultursaat die Richtung weisen und sie begleiten:

 

1.      Die bildschaffenden Methoden:

Diese verstehen sich als Ergänzung zu analytischen Untersuchungsmethoden. Die Untersuchung der Pflanzensäfte mit dem Steigbildverfahren und der Kupferchloridkristallisation ergibt Bilder, mit deren Hilfe Lebensmittel auf Vitalität, Charakter, Formkraft, Stabilität und Reife hin beurteilt werden können, also jenen Qualitäten, denen die besondere Aufmerksamkeit der biologisch-dynamischen Züchtung gilt. Auf diesem Gebiet haben in letzten Jahren sehr große Fortschritte stattgefunden. Basierend auf älteren Arbeiten von Ehrenfried Pfeiffer u. a. war es vor allem Ursula Balzer-Graf, die diese Form der Qualitätsbeurteilung weiter entwickelt hat. Die Auswirkungen der Anbauweise, der Anwendung von Präparaten, von Sorteneigenschaften und anderen nicht ohne weiteres erkennbaren Faktoren auf die Qualität der Nahrungspflanzen lassen sich so sichtbar und nachvollziehbar darstellen.

 

2.      Methoden der Bildekräfteforschung:

Hier handelt es sich um neuere Forschungsansätze, auch wenn die Bezeichnung „Bildekräfte“ unmittelbar auf Rudolf Steiner zurückgeht, der mit diesem Begriff diejenigen Naturkräfte bezeichnet, die aus den einzelnen stofflichen Komponenten eines Lebewesens ein lebendiges Ganzes bilden. In erster Linie sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten Dorian Schmidts zu nennen, welcher die Entwicklung dieser zwar früh skizzierten, jedoch bisher nicht näher ausgearbeiteten Forschungsmethode in den letzten Jahren energisch vorangetrieben hat und auch die Ausbildung auf diesem Gebiet forciert. Im wesentlichen handelt es sich hierbei um eine anschauende Methode, mit deren Hilfe sich der Forscher den Bildekräften unmittelbar erlebend gegenüberstellt.

 

 

Die Züchtungsziele im Einzelnen

 

Geschmack

Guter Geschmack bedeutet Genuss und Bekömmlichkeit und kann gleichzeitig ein Hinweis auf die hohe Qualität und den optimalen Reifezustand eines Lebensmittels sein. Im Geschmack tritt zutage, was in einem Gemüse steckt, über ihn haben wir Zugang zum Wesen unserer Nahrung. Das Schmecken ist eine naheliegende und jedem Menschen zugängliche Methode zur Feststellung dieser Qualität. Im Geschmack äußern sich die Anbauweise, die Standortbedingungen, vor allem aber die Eigenschaften der jeweiligen Sorte.

Jahrzehntelang hatte der Geschmack als Qualitätskriterium in der Sortenzüchtung so gut wie keine Rolle gespielt. Dabei ist eine deutliche und dauerhafte Verbesserung des Geschmacks in nur wenigen Pflanzengerationen zu erreichen. Bei bestimmten Arten, vor allem Möhren, hat der Verein Kultursaat mit Hilfe von neuen Bewertungsschemata Züchtungsmethoden entwickelt, die dem Geschmack einen hohen Stellenwert einräumen. Auch konnten Korrelationen zwischen Geschmack und morphologischen Eigenschaften festgestellt werden, welche den Züchtungsgang erleichtern können. Mit der Methode der Geschmacksauslese ist die Möglichkeit gegeben, etwas wirklich Neues – und doch eigentlich Selbstverständliches – den bisherigen Züchtungskriterien zur Seite zu stellen.

 

Harmonie in Wachstum und Gestalt:

Die Gestalt einer Kulturpflanze und ihre Qualität bezüglich des Nahrungswertes gehören zusammen. Arbeiten in Kultursaat-Forschungsprojekten, auch im Zusammenhang mit Projektarbeiten von Studierenden an der Landbauschule Dottenfelderhof, konnten aufzeigen, dass ein harmonisches Wachstum, das sich nachfolgend in einer harmonischen Gestalt ausdrückt, ein wichtiges Zuchtziel darstellt. Dabei zeigte sich auch, dass man bei eingehender Erforschung der Zusammenhänge mit goetheanistischen Methoden in die Lage kommt, objektiv und anschaulich darzustellen, wie Harmonie im Einzelnen definiert werden kann. So wurde z.B. im Vergleich von vereinseigenen Kopfkohlsorten mit Hybridsorten deutlich, dass die einzelnen Wachstumsphasen bei letzteren ineinander laufen, während sie bei den vereinseigenen Sorten deutlich erkennbar gegliedert sind. Der Unterschied prägt sich dann in der Ausgestaltung der Innenqualität der Kopfkohle aus, was eines der Ergebnisse eines Sortenvergleichs in den Jahren 1999 und 2000 an der FH Nürtingen war.

Bei eingehender Beschäftigung mit den morphologischen Anschauungsweisen der goetheanistischen Methode sind diese Ergebnisse nicht überraschend, sondern eher selbstverständlich. So wird dem Forscher klar, dass z.B. Stauchung und Fruchtbildung zusammengehören. Solches Wissen ist den konventionellen Züchtern im Verlaufe der Verlagerung der Züchtung vom Feld ins Labor offenbar teilweise verloren gegangen. Fachgespräche zwischen unseren Forschern und den konventionellen Züchtern belegen dies. Hier kann der Verein Kultursaat helfen, verlorengegangenes Wissen wieder zu beschaffen und auf neue wissenschaftliche Fundamente zu stellen.

Die Wurzeln, aus denen diese Harmonie in der Pflanze erwächst, sind Wüchsigkeit und Reife. Erst wenn diese einander gegenüberstehenden Kräfte zu einem Ausgleich kommen, entsteht Harmonie:

 

Wüchsigkeit

 

Wüchsigkeit oder Vitalität ist die Fähigkeit der Pflanze, aus den Stoffen und Kräften des Bodens und des Umfelds ihre Gestalt zügig zu entwickeln, so wie sie ihrem inneren Wesen entspricht. Diese Fähigkeit ist eine grundlegende Voraussetzung für gute Qualität, denn nur eine vitale Pflanze kann auch ihre anderen Eigenschaften voll zur Geltung bringen.

 

Reife

 

Die Reifefähigkeit einer Nahrungspflanze stellt eines der wichtigsten Züchtungsziele dar. Die Reife ist Voraussetzung für die Genussfähigkeit und ist grundsätzlich für alle Nahrungsmittel von außerordentlich hoher Bedeutung. Sie ist definiert als ein Ablösen der Frucht aus dem vitalen Zusammenhang des Pflanzenwachstums. Zwar bleibt die reifende Pflanze durch ihre Fähigkeit, nicht nur Samen, sondern Früchte im Sinne der menschlichen Ernährung zu bilden, länger jung und vital, sie muss aber auch zur rechten Zeit absterben. Hier greift ein Prozess ein, der der Pflanzenentwicklung übergeordnet ist. Sein äußeres Zeichen ist die Farbe, die sich in der Reife verändert, oft auch ein sich entwickelnder charakteristischer Duft. Der Prozess des Reifens ist ein Zeitprozess wie der des Wachsens, für den gilt: je länger die Zeit der Reife, desto höher ist die Qualität der Frucht.

 

 

 

Gesundheit und Widerstandskraft

Die Harmonie zwischen Reifefähigkeit und Wüchsigkeit ist die Grundlage für die Fähigkeit einer Pflanze, Schädlingen, Krankheiten, aber auch ungünstigen Wachstumsbedingungen, erfolgreich Widerstand zu leisten, ohne dabei den „Schädling“ in Form so genannter Resistenzen auszugrenzen.

Im Allgemeinen wird man erwünschte Eigenschaften wie Wohlgeschmack, feine Struktur, etc. selten mit Wüchsigkeit und Widerstandskraft vereint finden. Hier ist es lohnend, auf verschiedenen Wegen nach neuen Pflanzentypen zu suchen. Die Widerstandskraft beispielsweise gegenüber Blattkrankheiten kann bei verschiedenen Laubformen unterschiedlich sein. So erhöht etwa eine stärkere Wachsschicht der Blätter beim Kopfkohl die Widerstandsfähigkeit gegen Blattkrankheiten. Morphologische Eigenschaften, z.B. die Geschlossenheit des Kopfes, haben Einfluss auf die Lagerfähigkeit.

 

Darüber hinaus bringt die Anbauform, z.B. ökologischer bzw. biologisch-dynamischer Anbau, in manchen Fällen eine sich langsam steigernde Widerstandsfähigkeit gegen Pilzkrankheiten mit sich. Hier liegen weite Forschungsfelder offen.

 

Bewährung im Anbau

Neben den oben genannten Zielen muss eine Sorte sich auch in der gärtnerischen Praxis bewähren. Sie soll dem Anbauer hinsichtlich ihrer Handhabbarkeit entgegenkommen und muss auch vom Ertrag her hohe Ansprüche erfüllen können. Nicht zuletzt soll auch ein ansprechendes Äußeres in Gestalt und Farbe, entsprechend den Anforderungen des Marktes, eine wichtige Eigenschaft einer Sorte sein.

 

In der Züchtungsforschung des Vereins Kultursaat ist es eine Grundvoraussetzung, dass alle Zieleigenschaften der Züchtung fest mit der jeweiligen Sorte verbunden sind und nicht – wie beispielsweise in der Hybridzüchtung – durch Einschränkung der Merkmale (Inzucht) und Kreuzungen wenig verwandter Sorten bzw. Linien (Heterosis) nur jeweils in einer einzigen Generation hervorgerufen werden. Die Vererbbarkeit aller Eigenschaften gehört mit zu den zentralen Anforderungen, die an eine lebendige Sorte zu stellen sind.

 

 

Die Methoden der Züchtung

 

Die Selektion

Sie ist die älteste uns bekannte Methode zur Schaffung und Entwicklung der Kulturpflanzen. Die einfachste und am meisten angewandte Variante ist die Massenauslese. Um sie erfolgreich ausführen zu können, sind große Bestände in Praxisbetrieben Voraussetzung, aus denen die jeweils besten Pflanzen (im Sinne des Zuchtzieles) ausgewählt werden.

 

Die Schaffung von Vielfalt

Die klassische Methode zur Zusammenführung unterschiedlicher Eigenschaften und zur Schaffung von Variabilität ist die Kombinationskreuzung. Bei ihr werden die Erbanlagen zweier oder mehrerer Linien bzw. Sorten zusammengeführt. In den ersten Generationen nach einer Kreuzung entsteht in der Regel eine große Vielfalt an Pflanzen mit den unterschiedlichsten Eigenschaften. Diese Nachkommen mit ihren neuen und z.T. überraschenden Qualitäten bilden die Grundlage für neue Auslesen.

 

Diese Vielfalt, aus der Neues entsteht, kann außer durch Kreuzung auch durch eine Reihe anderer Einflüsse und Maßnahmen hervorgerufen werden. Dass sich diese Veränderungen einer Pflanzenart in sehr wenigen Generationen erbfest einprägen, ist dabei eine wichtige, vielleicht überraschende Erkenntnis.

 

Folgende Faktoren zeigen Einflüsse auf das Pflanzenwachstum:

 

-         Standortgegebenheiten wie Boden, Klima, Nährstoffversorgung oder andere Umgebungszusammenhänge:

Diese äußeren Bedingungen sind in der Lage, Gestalt und andere wesentliche Eigenschaften von Pflanzen nachhaltig zu beeinflussen.

 

-         Der Mensch in Person des Züchters und durch die Kulturbedingungen:

Die Beziehungen zwischen Pflanzen und den Menschen, die mit ihnen umgehen, sind solche zwischen Lebewesen. Dies hat weit reichende Konsequenzen, die sich auf verblüffende Weise z.B. in unterschiedlichem Pflanzenhabitus äußern, je nachdem, welche Person oder auf welche Weise sich eine Person mit den Pflanzen beschäftigt hat.

 

-         Der Einfluss des kosmischen Umkreises:

Dass das Wachstum der Pflanzen einen Bezug zum Wandel der Gestirne hat, ist altes Wissen, das jedoch in seiner Differenziertheit weitgehend verloren gegangen ist. Der neue Forschungszweig der Chronobiologie befasst sich mit den Auswirkungen kosmischer Rhythmen auf das Pflanzenleben. Neben den deutlichen Einflüssen von Sonne und Mond lassen sich auch solche der Planeten und besonderer Konstellationen aufspüren.

 

-         Die Anwendung von Präparaten und anderer Behandlungen:

Im biologisch-dynamischen Anbau werden seit fast achtzig Jahren Präparate aus mineralischen, pflanzlichen und tierischen Komponenten eingesetzt. Ihre Anwendung zeigt Auswirkungen auf Gestalt und Wachstum der Pflanzen. Auch Behandlungen mit Tönen zeigen auf überraschende Weise ihren Einfluss.

 

 

 

Diese letztgenannten Möglichkeiten zur Schaffung vielfältiger Pflanzenformen und -eigenschaften sind noch wenig erforscht. Die oben erwähnten Methoden zur Qualitätsbestimmung von Sorten und Einzelpflanzen (bildschaffende Methoden, Bildekräfteforschung) sind auch in diesem Zusammenhang wertvolle Hilfen für die Züchtung.

 

Die züchterische Praxis

 

Die praktische Umsetzung der Ziele sieht so aus, dass der Verein seinen Mitgliedern Aufträge zu konkreten Züchtungsforschungsprojekten gibt. Dabei wird in den meisten Fällen eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Forschungsprojekt und einem Praxisbetrieb angestrebt.

Erwerbsbetriebe verfügen über große Pflanzenbestände und sind auf Grund ihrer Erfahrung mit einzelnen Arten und Sorten hervorragend dazu geeignet, Auslesekriterien festzulegen und zu überprüfen. Die Auswahl bestimmter Pflanzen zum Zweck des Sortenerhalts, der Neu- oder Anpassungszüchtung, die Erforschung von Sorten- und Arteigenschaften, sowie die Erarbeitung von Züchtungskriterien sind daher auf einem Erwerbsbetrieb am richtigen Platz.

Erfahrung im Umgang mit den von ihm angebauten Sorten befähigen darüber hinaus den Erwerbsgärtner und -landwirt grundsätzlich in besonderer Weise, Aufgaben der Züchtung und Forschung an Nutzpflanzenarten und -sorten zu übernehmen. Die Wahrnehmung dieser Aufgaben kann jedoch nur außerhalb der Produktionsroutine geschehen.

Werden solche Aufgaben auf dem Betrieb wahrgenommen, so sind dafür weitergehende Kenntnisse über Befruchtungsverhalten und Reproduktionszyklen der Art (evtl. auch der Sorte) erforderlich, sowie Kenntnisse auf rechtlichem und organisatorischem Gebiet. Hier kann Kultursaat durch Aus- und Weiterbildung hilfreich eingreifen.

In der Hauptsache fallen folgende Tätigkeiten im Rahmen von Züchtung und Forschung auf den Betrieben an:

-    Allgemeine Prüfung der Sorte auf Anbauwürdigkeit bzw. andere zu untersuchende Kriterien.

-    Besondere Prüfung des Pflanzenbestands im Hinblick auf die gewünschten Eigenschaften und Auslese von geeigneten Elitepflanzen bzw. negative Auslese abweichender Exemplare, je nach Ausleseverfahren. Dies geschieht durch Markieren der betreffenden Pflanzen und damit verbundene Aufzeichnungen.

-    Anbau spezieller Linien, Varianten, Pflanzennachkommenschaften, etc.

-    Eventuelle Durchführung von besonderen Maßnahmen, wie Kreuzungen, Handbestäubungen o.ä.

-    Bei Fremdbefruchterkulturen: Isolierung von Pflanzenbeständen bzw. Einzelpflanzen

-    Ernte des Saatguts der ausgewählten Pflanzen. Je nach Pflanzenart kann dies mehrere Arbeitsstufen umfassen (Trocknen, Dreschen, Reinigen, spezielle Verfahren). Dieses Saatgut ist in keinem Fall Handelsgut – es dient ausschließlich zu Zwecken der Forschung und Entwicklung.

-    Langfristige Planungsarbeit über mehrere Pflanzengenerationen.

-    Erarbeitung von Züchtungs- und Forschungskriterien durch laufenden Austausch mit Kollegen und Einrichtungen der Züchtung und Forschung.

-    Dokumentation aller Maßnahmen, Erstellung von Berichten

 

Selbstverständlich können diese Arbeiten nicht vom Praxisbetrieb finanziert werden. Genau hier hat der Verein seine Aufgabe.

Wenn aus der Forschungsarbeit, die durch den Verein gefördert wurde, praxisreife Sorten hervorgehen, werden diese – nach Zulassung durch die Behörde – in den wirtschaftlichen Kreislauf des Saatguthandels entlassen. Der Verein ist daran nur noch in Form von Lizenzen beteiligt, die die Vermehrer an ihn entrichten. Diese Sorten sind jedem Interessierten zugänglich und können auf jedem Betrieb – im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen – angebaut und vermehrt werden. In dieser Tatsache sieht der Verein sein grundlegendes Ziel, nämlich die Gemüsearten als Kulturgut der Menschheit zu erhalten, weiterzuentwickeln und der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, als verwirklicht an.



Werner Friedl, Dezember 2003

 

Literatur:

 

 

Balzer-Graf, U.: Vitalqualität von Nahrungsmitteln im Spiegel bildschaffender Methoden, Forschungsinstitut für Vitalqualität, Frick (Schweiz)

 

Bauer, D. und Henatsch, C.: Biologisch-dynamische Gemüsezüchtung – eine Standortbestimmung. Zur gegenwärtigen Diskussion um Züchtungstechniken. In: Lebendige Erde 6/2000, S. 52 ff.

 

Elers, B.: (Arbeiten von Studierenden der FH Nürtingen), 1999 und 2000

 

Liebig, J. von: Chemische Briefe, Leipzig 1878

 

Pfeiffer, E.: Unternatur und Übernatur in der Physiologie der Pflanze und des Menschen - Die wahren Grundlagen der Ernährung (Vortrag, 1. 10. 1958 in Dornach). Abgedruckt in: Nick C. Thomas: Entscheidungskampf im Ätherischen, Dornach (Schweiz), 1994

 

Schmidt, D.: Beobachtungen im Bildekräfte-Bereich der Natur – eine Wegbeschreibung. In: „Das Goetheanum“, Nachrichtenblatt Nr. 18, 19, 20/1998

 

Sieber, M.: Widar Vorprojekt (Schlussbericht). Untersuchung von Wirksamkeiten ätherischer und astralischer Art in der Landwirtschaft, Rheinau (Schweiz), 2003

 

Steiner, R.: Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft (Vorträge), 1924 (GA 327)

Steiner, R.: Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst (Vorträge), 1925 (GA 27)

 

Wistinghausen, E. von: Was ist Qualität? Wie entsteht sie und wie ist sie nachzuweisen? Darmstadt 1979

 

 

 

 

 

 

 

 

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