Aus der Schreibwerkstatt (November 2006)

Ausschnitt 1 aus einem Text mit dem Arbeitstitel "Das Grundeinkommen"







(...)

Wovon ich tatsächlich berichten will, ist jener Gedanke Arnes, der ihm schließlich zu einer Art fixer Idee wurde. Überdies ein Floh, den wohl ich ihm ins Ohr gesetzt habe, was ich heute natürlich sehr bereue. Er hatte immer schon, wenn er von einer Sache überzeugt war, in der Folge eine gewisse nachhaltige, oft geradezu erbitterte Leidenschaft dafür entwickelt. Eine einmal aufgenommene Spur verfolgte er mit imponierender Energie und Konsequenz und genau diese Eigenschaft war es ja auch, die ihn bei seinen spirituellen Streifzügen weiter und immer weiter geführt hatte. Arne war gerade aufgrund seiner Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit zu einem brillanten Erforscher der geistigen Welt geworden, und ich durfte das Privileg genießen, seine Berichterstattungen aus einer Art von Jenseits, welches für ihn inzwischen zu einem alltäglichen Aufenthaltsraum geworden war, regelmäßig aus erster Hand dargeboten zu bekommen.

Als er mir eines Abends sehr anschaulich seine Begegnungen mit Wesenheiten aller Art schilderte, die er auf einer seiner geistigen Exkursionen vorgefunden hatte, kam mir ein – wie mir schien, naheliegender – Gedanke.

„Arne“, sagte ich, „was meinst du, wäre es nicht einen Versuch wert, die geistige Welt, in der du dich so selbstverständlich bewegst, einmal um Rat zu fragen, wie du aus deinem ständigen finanziellen Schlamassel rauskommen könntest?“ Er sah mich verständnislos an. „Ich meine, du hast es da doch mit Kräften oder Wesen oder was auch immer zu tun, die irgendwie auch auf unser Leben Einfluss nehmen können. Wenn ich das alles richtig verstehe, was du mir erzählst“, fügte ich hinzu, als ich seinen immer noch etwas ratlosen Gesichtsausdruck sah.

„Hm.“ Mehr war für längere Zeit aus Arne nicht herauszukriegen, und ich wollte ihn beim Nachdenken nicht stören. Er lehnte sich weit in seinen Sessel zurück, er schien verstanden zu haben, was ich ihm nahe legen wollte.

„Du meinst“, sagte er schließlich, „ich soll um Geld bitten?“

„So direkt habe ich es gar nicht gemeint, ich dachte eher an Ratschläge oder Hinweise. Aber wo du es sagst: warum nicht auch um Geld bitten? Du bist ein integerer Mensch, Arne. Alle deine Ideen und Projekte, deine ganze literarische Arbeit, das ist doch alles höchst ehrenwert, sozial und künstlerisch überaus wertvoll und so. Wenn einer Unterstützung verdient, dann bist du das. Wenn du von heute auf morgen viel Geld hättest, würdest du es doch nicht verprassen oder verschwenden, du würdest doch etwas Vernünftiges damit anfangen, oder? Etwas, wo auch andere was davon hätten.“

„Hm“, brummte er wieder und verstummte erneut. Nach einer Weile sagte er: „Ich muss darüber nachdenken.“

Als wir uns das nächste Mal trafen, meinte Arne, diese Idee sei schon etwas, was sich weiter zu verfolgen lohne, aber er müsse sehr behutsam damit umgehen, es sei ein außerordentlich sensibles Thema. „Es ist nicht so einfach, wie du dir das vielleicht vorstellst. Es gibt da keine Adresse oder irgendein konkretes Gegenüber, an das ich mich wenden könnte und sagen: bitte gib mir Geld. Wir machen alle unser Schicksal selber, unser Lebenslauf wird nicht von unberechenbaren übergeordneten Mächten gestrickt, sondern wir selber sind die Verantwort­lichen dafür. Auch wenn uns das meistens nicht bewusst ist. Das heißt also in letzter Konsequenz, ich müsste mich an eine Instanz in mir selber wenden, um meine Probleme zu lösen.“

Ich hatte befürchtet, dass er etwas in der Richtung äußern würde. Also war das Ganze eine bloße Schnapsidee von mir gewesen?

„Nein, das nicht, aber ich sehe noch keinen Einstieg in das Vorhaben. ‚Da drüben’ – was eigentlich nichts anderes bedeutet als ‚da drinnen’ – ist alles viel formbarer, weniger eindeutig, nichts ist endgültig definiert, verstehst du? Ich suche noch nach dem Hebel, mit dem ich die Sache in Bewegung setzen kann.“

So kam es also, dass sich Arne auf ganz neue Art und Weise mit seiner eigenen Biographie zu befassen begann. Er versuchte zu verstehen, worin die Gründe lagen, dass es ihm bisher nie recht gelungen war, ausreichende wirtschaftliche Grundlagen für sein Leben zu schaffen. Mit der ihm eigenen Gründlichkeit durchforstete er seinen bisherigen Lebenslauf und suchte ihn nach Anhaltspunkten ab, ob er vielleicht dann und wann entscheidende Hinweise übersehen haben könnte, wie er in seine unkomfortable finanzielle Lage geraten war. Denn dass es sich dabei um etwas Grundsätzliches in seinem Leben handeln musste, dessen wurde er sich rasch bewusst, erkannte er doch, wenn er sich an die wichtigsten Stationen seines Lebenswegs zurückversetzte, dass er kaum je eine andere Situation als seine gegenwärtige kennengelernt hatte: immer viel zu wenig Geld, hinten und vorne.

Ein paar Wochen nach diesem Gespräch kam Arne wieder auf das Thema zurück. Er war in seiner Haltung eher schwankend. „Diese Geldmisere scheint zu mir zu gehören, sie ist ein Teil meines Lebens. Ich sollte das vielleicht akzeptieren.“ Ich war etwas verwundert, diese fatalistische Haltung passte nicht zu Arne, wie ich fand. „Was willst du?“ sagte er, „das fehlende Geld hat mich doch bisher nie davon abgehalten, die Dinge zu tun, die ich für richtig halte.“

„Schon, aber die Idee mit dem Grundeinkommen, über das wir so viel gesprochen haben, ist deiner Ansicht nach doch grundsätzlich richtig“, sagte ich. „Dann steht dir so ein Geld also auch zu, so wie es allen anderen zusteht, nicht wahr.“ Ich dachte daran, wie gut auch mir so ein fixer Betrag jeden Monat tun würde. „Ich meine, von einem moralischen Standpunkt her betrachtet, ist das kein Almosen oder ein Geschenk, für das man irgendwem dankbar sein müsste. Und es ist doch logisch, dass, wenn wir in Zukunft unser Einkommen nicht mehr aus der Arbeit beziehen können, es von woanders herkommen muss. Deine Worte.“

„Das ist alles richtig“, gab Arne zurück. „Aber ich kann nicht dem Ablauf der Geschichte vorgreifen. So eine Sache muss in der Gesellschaft reifen, sie muss ihren richtigen Zeitpunkt finden, muss auch von vielen Menschen als richtig erkannt und dann initiiert werden. Wenn ich als Einzelner mich da einmische, hat das überhaupt keinen Wert. Ich kann das hundertmal richtig finden, davon kommt dieses Geld noch lange nicht in die Welt.“

„Es soll ja zunächst auch nur zu dir kommen.“ Ich ließ nicht locker. „Du bist in so vielen Dingen ein Pionier, da solltest du auch im Umgang mit Geld vorangehen. Wenn du deine monatliche Summe erst mal hast, dann liegt es doch an dir, daraus ein Beispiel für andere zu machen. Also vorzuleben, was man als geistig aktiver und sozial engagierter Mensch alles machen könnte, wenn man finanziell abgesichert ist. Verstehst du, was ich meine? Du könntest haufenweise Projekte unterstützen, deine Kindergartensache zum Beispiel weiter vorantreiben, du könntest dich viel entspannter deinem Schreiben widmen, hättest mehr Zeit für alles, was dir wichtig ist. Also ich an deiner Stelle würde diese Sache schon weiter verfolgen. Was kannst du denn dabei schon verlieren?“ Wenn ich geahnt hätte, was kommen würde, hätte ich diesen Satz nicht einfach so dahin gesagt.

Er sei bei der Erforschung seiner Biographie auf Anhaltspunkte gestoßen, die nahe legten, dass er nun in einem Stadium angelangt sein, wo Wesentliches zum Abschluss käme, sagte Arne. „Ich glaube, es ist Zeit, dass etwas Neues beginnt. Ich bin jetzt fast neunundvierzig, da sollte man dann vielleicht auch einen Gang zulegen, die Jahre vergehen ja immer schneller. Und so gesehen, könntest du recht haben, dass ich mich für diese Sache jetzt einsetzen sollte. Es widerstrebt mir nur, ausgerechnet bei mir selber anzufangen. Es gibt sicher tausend andere, die es viel nötiger hätten.“

„Dann sollen die auch drum bitten“, sagte ich. „Das muss dein Anliegen doch gar nicht berühren.“ Ein Argument, dem Arne nichts entgegensetzte.

Es vergingen einige weitere Wochen, der Sommer zog herauf, und Arne verbrachte ganze Tage mit Spaziergängen im Wald und auf den Hügeln vor der Stadt. Er nahm sich eine lange Bedenkzeit für seinen Entschluss.


(...)



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