Leseprobe 2 aus: Jochen Kirchhoff, Was die Erde will



Gustav Lübbe Verlag, gebundene Ausgabe S. 356 ff.






Doch einmal den "dritten Weg" wagen? Oder: Wie eine erdgerechte Wirtschaftsordnung aussehen könnte

Zu den wahrhaft erstaunlichen, kaum in der Tiefe durchdachten Faktoren der globalen Megamaschine gehört das Geld. Geld ist das magische, allgegenwärtige Fluidum, das abstrakte Blut des großen Molochs. Wer auf seinen Bankauszug blickt, blickt auf Zahlen, die tot sind, aber religiöse Verheißung in sich bergen. Oder Verdammnis, Höllenpein, Gewissensqual. "Hinter" den Zahlen steht ein gespenstisches Ding oder besser Unding, vor dem fast alle auf dem Bauch liegen. Von dem Gottesdienst in Bankpalästen war bereits die Rede.

Geld ist Manna, göttliche Nahrung, die sich wundersam vermehren kann; wer Kapital "hat" (meist ist es umgekehrt: das Kapital "hat" seinen Eigentümer), kann es horten oder investieren, kann es "arbeiten lassen" oder verschleudern. Geld, als Kapital, ist "zinsträchtig". Es ist kein Lebewesen, kein biologisches System, es altert nicht, es zeigt keine Gefühlsregungen. Daß es nicht "in Ordnung" ist oder sein kann, mit Geld zu spekulieren, es als Selbstzweck zu betrachten oder brutale Macht über andere Menschen damit auszuüben u.a., ist noch immer als ein Rest moralischer Empfindung in vielen Menschen lebendig. Besonders dann, wenn der Einzelne, wenn ganze Gruppen oder volkswirtschaftliche Einheiten "unter die Räder kommen", wenn sie gnadenlos zermahlen werden in der abstrakten Maschine, wird dieses Empfinden verstärkt, oft verbunden mit dumpfem Groll, mit Wut und Haß. "Alles hat seinen Preis." Daß dieser Preis manipuliert werden kann, ist noch das Geringste daran. Der Satz als solcher ist ein kollektiv verinnerlichter Wahnsinn. Schon dieser Satz ist die Katastrophe selbst.

Daß der Kapitalismus nicht die Wirtschaftsordnung sein kann, die in irgendeinem Betrachte erdgerecht ist, liegt auf der Hand. "Soweit hat es der siegreiche Kapitalismus also gebracht! Millionen und Abermillionen Kinder wie auch Erwachsene verhungern jährlich, und die Wohlstandsländer ersticken in ihrem Plunder, bevor sie kollabieren." (Johannes Heinrichs) Börsenritter tun das Ihrige, um den sich abzeichnenden Kollaps zu beschleunigen. So möchte man fast prophezeien, daß der schon totgesagte Marx sich wieder erheben wird, um einen "zweiten großen Anlauf" zu wagen.

Entweder Marx oder Rothschild, das kann nicht (mehr) die Alternative sein. Im 20. Jahrhundert hat es drei Versuche gegeben, so etwas wie einen "dritten Weg" - zwischen Kapitalismus und Sozialismus - zu durchdenken und ins Werk zu setzen; alle drei Versuche sind, meist schon konzeptionell, gescheitert.

Chronologisch rückwärts gelesen, läßt sich dies festmachen an der Revolution vom Herbst 1989, an dem Zusammenbruch der NS-Diktatur bzw. den Bemühungen nach 1945, Gesellschaft und Wirtschaft auf eine neue Grundlage zu stellen, und an den ganz analogen Bemühungen nach dem Zusammenbruch von 1918. Es waren drei Imperienstürze, die - für einen kurzen Moment der Geschichte - die Ahnung aufblitzen ließen, daß es so etwas geben könnte wie eine moralisch-politische Ordnung neuen Typs (bezogen auf Deutschland). Global betrachtet, und das ist fast vergessen worden, barg schon die Bezeichnung »Dritte Welt« in den 50er Jahren die Hoffnung in sich, für die »blockfreien« Länder ökonomisch-sozial einen "dritten Weg" zu beschreiten. In der Figur Nehrus, des ersten Ministerpräsidenten des nicht-kolonialen Indien, wird die dramatische Spannung deutlich, die hier aufbrach: Gegen die sozialreformerischen Pläne seines einstigen Mentors Gandhi (fortgesetzt durch dessen Schüler Vinoba Bhave) entschied sich Nehru für den westlichen Industriekapitalismus, jedenfalls was die Grundrichtung anlangt.

Das oft totgesagte Gespenst des "dritten Wegs" ist auch heute noch oder wieder da, lebendiger, als viele denken oder hoffen. Das ist verständlich, denn nur der (wie immer konstellierte) "dritte Weg" vermag ökonomisch-sozial eine Richtung zu weisen, die die Sackgasse des Kollektivismus und die Sackgasse des hemmungslosen Kapitalrittertums vermeidet.

In seinem Buch Sprung aus dem Teufelskreis. Logik des Sozialen und Natürliche Wirtschaftslehre hat Johannes Heinrichs den achtunggebietenden Versuch unternommen, das Thema Wirtschaft, Geld und Sozialstruktur noch einmal von Grund auf neu zu denken. Er scheut sich nicht dabei, liebgewordene und geradezu verhätschelte Tabus zu berühren. Ausgangspunkt seiner erhellenden Überlegungen ist die sogenannte "Natürliche Wirtschaftsordnung" des Deutsch-Argentiniers Silvio Gesell (1862 bis 1930).

"Er [Gesell] sah die Crux des Kapitalismus nicht primär im Arbeitsverhältnis, sondern im Zinsmechanismus als solchem. Er machte höchst praktikable, auch im nationalen Alleingang durchführbare Vorschläge für einen anderen Mechanismus des Geldumlaufs, nämlich alterndes Geld (ähnlich dann Rudolf Steiner). (...) Ausgehend von der ... ‚unnatürlichen’ Zeitlosigkeit des Geldes stellt Gesell erstmalig im Wirtschaftsdenken der Menschheit die Frage, warum dem Geld inmitten der vergänglichen Welt der Naturdinge eine Ausnahme eingeräumt wird, indem man ihm durch fest aufgedruckte oder eingeprägte Zahlen anscheinend ein Ewigkeits- oder Dauerwertversprechen verleiht. Gesell hinterfragt die jahrtausendealte Denkgewohnheit, daß der Joker-Vorteil des Geldes gegenüber den vergänglichen Naturgebilden, vor allem den organischen Lebensmitteln, ebenso wie gegenüber den der Zeit unterworfenen Arbeitsleistungen und Lebensbedingungen des Menschen dazu verleitet, im Geld ein ideales Besitz- und Machtmittel zu sehen. Denn im Gegensatz zu den verderblichen Lebensbedarfsgütern und Leistungen ist das Geld durch sein Dauerwertversprechen nicht allein verlustlos hortbar, sondern ohne weitere Arbeit der Geldbesitzenden, mittels des Zinses und Zinseszinses, vermehrbar."

Was Zins und Zinseszins betrifft, so sei nur - gleichsam im Vorübergehen - auf die monströse Staatsverschuldung verwiesen, die jedem von uns eine Last auferlegt, die ständig wächst. Daß das Ganze schlicht ein Irrsinn ist, kann man ohne viel Scharfsinn herausbekommen. Die ganze Gesellschaft, nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten Staaten dieser Erde und im Gesamtbau der globalen ökonomischen Systeme, ist eine Art Diktatur von unten, von den unteren Chakras aus. Dieses Unten wird naturgesetzlich hingenommen, sein Selbstlauf vorausgesetzt, was die politisch-moralischen Steuerungs- und Gestaltungsmöglichkeiten dramatisch verkleinert, ja, in Teilbereichen gänzlich gegen Null gehen läßt.

In seinem Nachwort zu dem genannten Buch von Heinrichs schreibt Rudolf Bahro: "Die Weltbewahrung hängt davon ab, ob es gelingen wird, die Ökonomie, koste es, was es wolle, in den sozialen Gesamtzusammenhang zurückzugliedern, aus dem sie - totalitär funktionierend - herausgefallen ist."

         
         
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