Anna Seghers
Transit



         
         
Anna Seghers

Transit



Süddeutsche Zeitung Bibliothek, Band 74
ISBN 978-3-86615-524
Mit einem Nachwort von Sonja Hilzinger
261 Seiten
5,90 €
         
1940, Marseille im nicht besetzten Teil Frankreichs. Der (deutsche) Ich-Erzähler, einem französischen Arbeitslager entkommen und illegal unterwegs, charakterisiert die Lage folgendermaßen:

Sie kennen ja selbst das unbesetzte Frankreich aus dem Herbst 1940. Die Bahnhöfe und die Asyle und selbst die Plätze und Kirchen der Städte voll von Flüchtlingen aus dem Norden, aus dem besetzten Gebiet und der »verbotenen Zone« und den elsässischen und lothringischen und den Moseldepartements. Überreste von jenen erbärmlichen Menschenhaufen, die ich schon auf der Flucht nach Paris für nichts andres als Überreste gehalten hatte. Viele waren inzwischen auf der Landstraße gestorben oder in einem Waggon, aber ich hatte nicht damit gerechnet, daß inzwischen auch viele geboren würden. Als ich mir einen Schlafplatz suchte im Bahnhof von Toulouse, kletterte ich über eine liegende Frau, die zwischen Koffern, Bündeln und zusammengelegten Gewehren einem verschrumpften Kind die Brust gab. Wie war die Welt in diesem Jahr gealtert. Alt sah der Säugling aus, grau war das Haar der stillenden Mutter, und die Gesichter der beiden kleinen Brüder, die über die Schulter der Frau sahen, waren frech, alt und traurig. Alt war der Blick dieser Knaben, denen nichts verborgen geblieben war, das Geheimnis des Todes ebensowenig wie das Geheimnis der Herkunft. Alle Züge waren noch vollgepfropft mit Soldaten in verkommenen Uniformen, offen ihre Vorgesetzten beschimpfend, fluchend ihrer Marschorder folgend, aber doch folgend, weiß der Teufel wohin, um in irgendeinem übriggebliebenen Teil des Landes ein Konzentrationslager zu bewachen oder einen Grenzübergang, der bestimmt morgen verschoben sein würde, oder sogar, um nach Afrika eingeschifft zu werden, weil ein Kommandant in einer kleinen Bucht beschlossen hatte, den Deutschen die kalte Schulter zu zeigen, aber wahrscheinlich längst abgesetzt worden war, eh die Soldaten ankamen.

In Marseille (wo der Erzähler Bekannte hat, die Familie Binnet, von der er Hilfe zu erwarten hat) drängt sich alles um Schiffspassagen irgendwohin, wo man sich Rettung und Freiheit verspricht. Doch die bürokratischen Hindernisse sind groß: Passierschein, Ausreisevisum, Transitvisum, Einreisevisum (und nicht zuletzt das Geld für die Schiffspassage) müssen besorgt werden. Verzögert sich (was ständig der Fall ist) die Ausstellung nur eines dieser Papiere, sind in der Regel eines oder mehrere der anderen wieder abgelaufen ...

Der Erzähler lässt sich von der Hektik nicht anstecken. Und doch verstrickt ihn, der das Leben gerne leicht nimmt, die Liebe langsam immer tiefer in die Betriebsamkeit der Konsulate, Behörden und Schifffahrtbüros. Die Geschichte beginnt damit, dass er in Paris einem deutschen Schriftsteller eine Nachricht überbringen soll. Doch der hat inzwischen Selbstmord begangen.

Ein raffiniert gebauter Roman in bewunderswerter Sprache.
         
 
         
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