Marguerite Yourcenar
Der Fangschuss



         
         
Marguerite Yourcenar Der Fangschuss Aus dem Französischen von Richard Moering

Titel der Originalausgabe "Le coup de grâce", 1939
Lizenzausgabe für Süddeutsche Zeitung Bibliothek, 2004
ISBN 3-937793-11-9
(deutsche Erstveröffentlichung 1986)
96 Seiten
4,80 €
         
Das schmale Bändchen (96 Seiten) hat mich sehr beeindruckt. Wahrscheinlich nicht zuletzt deshalb, weil ich den Stil, in dem es geschrieben ist, selber gerne pflegen möchte, bzw. es ansatzweise bei "Marie" schon getan haben: die knappe, dichte Sprache, die sehr oft das Geschehen zusammenfasst und vorwärtsdrängt, so dass der Leser sehr viel an Handlungsinformation auf wenigen Seiten erfährt. Dazu werden die Dialoge meist auf einige wenige Kernsätze reduziert, der Verlauf der Gespräche wird vom Ich-Erzähler geschildert. So wird der Fokus immer sofort aufs Wesentliche gerichtet.

Die Handlung: Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, als sich die Russische Revolution in Form von Bürgerkriegen im Baltikum ausbreitet, gerät Erich, ein preußischer Offizier, der einen Trupp Weißgardisten befehligt, auf den Landsitz seines Jugendfreundes Konrad und dessen Schwester Sophie. Sophie verliebt sich in Erich, dieser hat jedoch wenig Interesse an ihr, wie an allen Frauen. Die Kriegsverhältnisse machen aus einer Dreiecks- und Liebesgeschichte, die unter anderen Umständen wahrscheinlich wenig Dramatik beinhaltet hätte, durch die moralischen Verwerfungen, denen die Personen ausgesetzt sind, ein Drama im Ausmaß einer antiken Tragödie. Das tödliche Ende der Geschichte findet Erich und Sophie auf verschiedenen Seiten der Kriegsfront. Wesentlich scheint mir an der Darstellung zu sein, dass es bei diesem Krieg keine "richtige" Seite gibt, weder Weiß noch Rot, und jeder, der sich daran beteiligt, Schuld auf sich lädt, bewusst oder unbewusst.

Marguerite Yourcenar stellt dieser Novelle ein später geschriebenes Nachwort zur Seite, in dem sie über ihr Entstehen Auskunft gibt und einige der Motive interpretiert. Auch zu den Stilmitteln äußert sie sich. "Der Fangschuss" wurde 1938 geschrieben, also kurz vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, der die in dem Buch gelegentlich skizzierten Grausamkeiten noch einmal, noch intensiver, in noch größerem Umfang aufleben ließ.

Die Autorin schreibt: "Das Thema des Kurzromans steht uns zugleich sehr fern und sehr nah; sehr fern, weil sich unzählige Bürgerkriegsepisoden über die hier erwähnten geschichtet haben; sehr nah, weil die darin geschilderte moralische Verwirrung die gleiche geblieben ist, in der wir noch immer – und mehr denn je – gefangen sind."
         
Marguerite Yourcenar (1903 - 1987) wurde 1980 als erste Frau in die Académie française aufgenommen.
         
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