WERNERS BLOG

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  Zeichnung: Wilhelm Busch


Montag,
2. April 2018
(Ostermontag)
Aus den Nachrichten gefischt:

Mein Radio erzählt mir, ein Gericht in Istanbul habe das Justizministerium aufgefordert, den in Deutschland lebenden Journalisten Can Dündar mit Hilfe eines internationalen Haftbefehls suchen zu lassen. Dündar war lange Zeit Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet". Das kommt ein paar Tage, nachdem die deutsche Polizei den katalanischen Ex-Regierungschef Carles Puigdemont festgenommen hat (und der Regierung damit ein massives politisches Problem beschert hat, während die Dänen und Finnen, durch deren Länder er gereist war, sich weise auf die Seite gedreht hatten: Ach, der P. war bei uns? Nein, sowas! Leider, leider ist er schon über die Grenze nach Deutschland ...)

Auf die Deutschen ist Verlass, wenn es um Vollstreckungen geht. Das wird sich auch Erdoğan gesagt haben, und hat gleich auch so einen Haftbefehl ausstellen lassen. Der Dündar ist in Deutschland, da kann nichts schiefgehen.

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Ostersonntag,
1. April 2018
Frohe Ostern!

Eigentlich war über Ostern schlechtes Wetter angesagt. Mir kommt es vor, als ob die Wettervorhersagen immer schlechter würden.

So sah's jedenfalls heute aus:
 
Der Pflaumenbaum am Hüsli treibt Blüten Die Quitten grünen Die Schwertlilien bereiten sich vor Und die Mimose weigert sich abzublühen
Der Pflaumenbaum am Hüsli treibt Blüten Die Quitten grünen Die Schwertlilien bereiten sich vor Und die Mimose weigert sich abzublühen
   
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  Heute morgen höre ich in die Sonntagsmesse im Radio rein, man weiß ja nie, vielleicht predigt einer was Taugliches. Aber: Nichts als Kindertheater mit Gsangl. Auch an Ostern nur die übliche Verjesuleinisierung der Religion.    
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Freitag,
30. März 2018
Rätsel des Alltags

Hier in Bardou gibt es seit den Neunzigerjahren einen Wasserbehälter, der etwa 150 – 200 m³ fasst. Er diente zur Tränke der Schafherde, die bis ins Jahr 2000 das Dorf belebte. Derzeit wird er umfunktioniert zum Brauchwasservorrat für die Toiletten. Heute bin ich auf meinem fast täglichen Spaziergang etwas näher herangegangen und fand zu meiner Überraschung das Wasserbecken voller Goldfische. Im letzten Jahr wurde das Wasser abgelassen (nach vielen Jahren – es war kein totes Mufflon drin!) und das Becken gereinigt, dann durfte es wieder volllaufen. Die Fische hat niemand eingesetzt – wo kommen die her??



Wasserbecken
 
Goldfische im Brauchwasserbecken Goldfische im Brauchwasserbecken
Goldfische im Brauchwasserbecken
   
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Mittwoch,
21. März 2018
Im Zug meines Projekts über Das Buch über nichts begegnen mir außerordentliche literarische Wunderwerke. Zwei von ihnen stelle ich heute als kurze Zitate vor, weitere dieser Perlen werden folgen.

(Langsam zu lesen)

1. Gerhard Meier
Ich zog mich in die untere Stube zurück [... Ich] sagte mir, dass Tolstoi in Krieg und Frieden auf eindringliche Art demonstriert habe, wie das Leben, die Geschichte, die Zeitläufte eben weitergingen, auch wenn bewegende Schicksale sich abgespielt hätten. Er zeige gleichsam auf, wie Gras darüber wachse oder wie es wiederum aufstehe, das Gras. Die Natascha zum Beispiel habe sich mit Pierre verheiratet, Natascha, die bis aufs letzte verliebt gewesen sei in Fürst Andrej Bolkonskij, der die Fahne dem gefallenen Fähnrich entrissen habe, um gegen die Franzosen anzurennen, und der in einer späteren Schlacht, in der Schlacht bei Borodino, so verwundet worden sei, dass er nicht mehr lange überlebt habe. Eben diese Natascha, diese junge, diese blühende, diese wunderbare Frau, habe Pierre geheiratet, den Freund Bolkonskijs, habe Kinder bekommen, sei schwer geworden, habe ihren Mann, ihre Kinder behütet, Flädlisuppe gegessen, Rindsbraten, Kartoffelstock, gemischten Salat, und die Martinisömmerchen seien über die russische Steppe hingezogen, wo mittendrin Moskau gelegen habe, das zuvor niedergebrannt sei, als er, der Heldentenor, sein Heer in dieses sich habe ergießen lassen, während Pierre dort herumgestreunt sei, mit dem Gedanken, Napoleon umzubringen ...85
Dazu ist noch zu ergänzen, dass besagter Rindsbraten mit sämtlichen Beilagen ein paar Seiten vorher dem Erzähler serviert worden war, der ihn zusammen mit dem Gastgeber und dessen Frau genossen hat, im Heimatort des Erzählers, Amrain, am Südfuß des Schweizer Jura.



85 MEIER, Gerhard: Borodino (4. Teil der sog. Amrainer Tetralogie) in: Baur und Bindschädler, Oberhofen 2008, S. 272 f.
  2. Virginia Woolf
Ohne ein Blatt, das er sprießen lassen konnte, nackt und hell wie eine Jungfrau voll wilden Stolzes auf ihre Keuschheit, verachtungsvoll in ihrer Reinheit, lag der Frühling großäugig und wach über Wiesen und Felder gestreckt und völlig gleichgültig gegen alles, was, die ihn erblickten, tun oder sich denken mochten. Als der Sommer sich näherte, als die Abende länger wurden, da kamen den Wachenden, den Hoffnungsvollen, die auf dem Strand hin- und herwandelten, in dem Tümpel stocherten, Vorstellungen der seltsamsten Art – dass Leiber, in Atome verwandelt, im Wind einherwehten, Sterne in ihren Herzen blinkten, Klippen, Wogen und Wolken nur zu dem Zweck versammelt seien, um äußerlich die verstreuten Teile dieser inneren Vision zusammenzubringen.86
  86 WOOLF, Virginia: Zum Leuchtturm (2. Teil Die Zeit vergeht, 6. Kapitel)
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Samstag,
17. März 2018
Morgen "wählen" die Russen Putin. Meine Frühstückszeitung Le Monde Diplomatique bringt einen Artikel über die gute Zusammenarbeit zwischen dem Kreml und der orthodoxen Kirche. Auch über die Kosaken und ihre schwierige Lage wird berichtet. Orthodoxer Glaube und Treue zu ihrem Land seien ein historischer Bestandteil ihrer Identität. Die Autorin des Artikel spricht mit zwei "Christen in Waffen", wie sich ihre Interviewpartner selbst bezeichnen. Auf Wladimir Putin angesprochen, sagt einer: Putin ist der beste Führer, da er dank seines Glaubens weniger stiehlt und weniger trinkt als die anderen."

So einfach ist die Antwort auf die Frage, warum so viele Russen Putin wählen.
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  Wenigstens ist hier der Frühling ausgebrochen (jetzt aber echt!)

Mit Besuch in der Abenddämmerung (↓)
  Endlich!
      Frühling in Gelb
(Klick öffnet neues Fenster)
 
Mufflon im Garten Mufflon im Garten
Mufflon im Garten Mufflon im Garten (unter der Lupe)
   
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Sonntag,
11. März 2018
Nach langer Zeit wieder einmal einen nächtlichen Besuch erhalten: von einem Feuersalamander. Bei spätabendlicher Dunkelheit und regnerischem Wetter, das haben sie gern.



Feuersalamander (Salamandra salamandra)
      Feuersalamander (Salamandra salamandra) nachts bei Regen
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Donnerstag,
8. März 2018
Neues und Uninteressantes aus dem Häuschen



 
Fliegenmadenspur in der Küche Geputztes Fenster
Heftige Regenfälle oder Ereignisse wie die plötzliche Schneeschmelze in der vergangenen Woche führen meist zu Wassereinbrüchen in der Küche. Dieses Mal habe ich auf den Bodenkacheln spaghettidünne Spuren entdeckt. Sie wurden verursacht durch eine Fliegenmade, die mit schlängelnden Bewegungen versucht hat, sich vor dem steigenden Wasser in ihrem Versteck hinter dem Ofen in Sicherheit zu bringen. Es ist erstaunlich, welch neue und gute Sicht auf die Welt ein frisch geputztes Fenster bietet.
   
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Samstag,
3. März 2018
Die alten Tagebücher

9. April 1980

Der Strand von Nueba verführt zum Vielschreiben
(...)

Will (irgendwann) wieder allein losziehen. Mit Rucksack, an den Zelt (drei Pfund), Schlafsack (drei Pfund), Schlafmatte (ein paar Gramm) drangeschnallt sind. Mit Kochzeug, Schreibzeug, Kerzen, und was noch zum Leben dazugehört. Mir fällt da ein Eintrag in ein früheres (nicht mehr existentes – zurecht –) Tagebuch ein: War allein ins Gebirge geradelt, Schi mit dem Zug geschickt, mit dem Bus von Josefstal zur Wurzhütten am Spitzingsee, auf Steigfellen zum Rotwandhaus rauf, anderntags rüber zu den Ruchenköpfen, hinaufgeklettert, anschließend die alte, mir lange schon bekannte Rotwand-Auf-und-Ab-Tour, wieder hinunter zum Spitzingsee – inzwischen gibt es längst Lifte dort (Lochgraben, Taubenstein, ein Stück bayrischer Hausberggemütlichkeit ist vergangen). – Das Bezahlen auf dem Rotwandhaus hatte ich vergessen, es hat lange mein ehrliches Gewissen gedrückt, ich habe noch eine Karte geschrieben, ich würde beim nächsten Mal das Geld bezahlen – habe es aber nicht gemacht. Auch damals war dieser Tagebucheintrag vom Genuß des Allein-Unterwegs-Seins erfüllt, meinte, ich sollte das öfters machen.

(muß mir noch die zweite, für morgen gedachte Rotweinflasche reinholen – auch das gehört zum Genuß des Alleinseins: der nicht begrenzte Rotweinvorrat: die 22 l-Behälter, in Vieussan aufgefüllt, Abend für Abend daraus den Becher gefüllt.)

Warum ist es mir bis jetzt nicht gelungen, andere Bardous zu finden? Sie sind sicher selten, aber ich bin überzeugt, es gibt sie, viele. Würde sie gerne kennenlernen, dort leben für eine Weile.

Rings um mein Zelt stürmt's und brandet's, die Wände des Zelts flattern, das Meer ist laut. Habe eine kleine Grille aus dem Zelt geworfen – erstaunlich, was in der Wüste alles lebt.

(...)

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Freitag,
2. März 2018
Fortsetzung des Wetterberichts



 
Unglaublicher Matsch überall Sonnenschein, als ob nichts gewesen wär Wasser im Überfluss
Donnerstag, 1. März:
Unglaublicher Matsch überall
Freitag, 2. März:
Sonnenschein,
als ob nichts gewesen wär
Aber ...
(Klick öffnet neues Fenster)
   
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Mittwoch,
28. Februar 2018
Neulich () hatte ich mich etwas leichtfertig über den weiteren Wetterverlauf geäußert. Heute Morgen: Frohe Weihnachten! Und wie gestern (!) der blaue frühlingshafte Himmel, so machte heute der stille, stete Schneefall den Eindruck, als ob sich das Wetter nie mehr ändern würde. Der Wetterbericht aber verhindert ein meditatives Versinken in die momentane Wetterlage. Immer wird bald alles wieder anders, und dass man das weiß, stört irgendwie den Genuss.



 
Blauer Himmel, der aussieht, als würde er für immer so bleiben Schneefall, der aussieht, als würde er nie mehr aufhören
Dienstag, 27. Februar:
Blauer Himmel, der aussieht,
als würde er für immer so bleiben
Mittwoch, 28. Februar:
Schneefall, der aussieht, als würde er nie mehr aufhören
   
       
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Montag,
26. Februar 2018
Eine Geschichte vom Land

Im vergangenen Jahr war ein Schäfer mit ca. 200 Tieren in unserem idyllischen Dorf in den südfranzösischen Bergen. Das Gelände, 300 ha, ist größtenteils gut dafür geeignet, immerhin war Klaus vor vierzig, fünfzig Jahren hier mit der Schafhaltung jahrzehntelang sehr erfolgreich.

Cyril, der Schäfer von 2017, blieb drei Wochen im Frühsommer, dann zog er weiter. Vor etwa zwei Wochen nun kam ein Vertreter der französischen Agrarbehörde, um das Gelände, auf dem Cyril die Schafe hatte weiden lassen, zu begutachten und per GPS zu vermessen. Er brauchte einen ganzen Tag dazu und meinte, einen weiteren halben Tag müsse er später noch dranhängen. Wozu? Der Schäfer hat für die drei Wochen Anspruch auf Agrarförderung, und dafür sei es nötig, die entsprechenden Daten zu erheben.

Dass die Bauern nicht vom Erlös ihrer Produkte leben können, ist eine Tatsache, an der wir alle mit schuld sind (siehe auch die Einträge vom 16.11.2015, 22.12.2015 und 12.2.2016)

Wieviel wird nun Cyril für die drei Wochen Beweidung des begutachteten Geländes bekommen (ein Jahr später!)? Viel kann es nicht sein. Auf jeden Fall ist es ein Bruchteil dessen, was die eineinhalbtägige Aktion hier gekostet hat. Diese Dinge laufen überall in der EU ähnlich ab, und man muss sie im Hinterkopf haben, wenn von den Milliarden an Agrarsubventionen die Rede ist.


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Donnerstag,
22. Februar 2018
In den 20-Uhr-Nachrichten des DLF kam heute dreimal das Wort Massaker vor, in drei verschiedenen Zusammenhängen.
  • Erstens: Kanzlerin Merkel nannte die Angriffe der syrischen Armee in Ost Ghuta bei Damaskus ein Massaker.

  • Zweitens: Das niederländische Parlament hat die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord eingestuft.

  • Drittens: Im Zusammenhang mit dem Schulmassaker in Parkland, Florida, wurde über Trumps Lösungsvorschlag berichtet. Er will noch mehr Waffen in den Schulen, indem er auch die Lehrer mit Schusswaffen ausstatten will.
Was sagt uns das über den Zustand der Welt?

Zu Trumps Vorschlag noch eine Erinnerung aus den siebziger Jahren. Da gab es einen Spruch unter Pazifisten:
Fighting for peace is like fucking for virginity


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Freitag,
16. Februar 2018
Hitzewelle

Im Dorf waren es heute 17 Grad (Nachbar William sagt: 18), wärmer als unten im Tal. Mit dem Winter ist man durch, das darf man hier so sagen.

Der Abendhimmel aber verspricht nichts Gutes.



Schönheit, die nichts Gutes verspricht
      Schönheit, die nichts Gutes verspricht
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  Im Übrigen gibt es ihn noch, den lauten guten Rock aus meiner Jugend. Der Deutschlandfunk brachte heute Abend in der Reihe On stage eine Aufnahme von einem Festival am Niederrhein, u.a. mit einer Band, die sich The Afghan Whigs nennt. Reinhören! (Die Lautstärke besser nicht zu weit aufdrehen – oder extra?)    

Sonntag,
11. Februar 2018
Die alten Tagebücher

immer noch 8. April 1980, am Strand von Nueba (Sinai)


(...)

Noch etwas Holz für ein Feuer zusammengesucht, mäßiger Erfolg, nur einige Dornbuschzweige. Bei Dornbusch und Wüste kommt einem natürlich gleich die Bibel in den Sinn, wie überhaupt dieses Land aus lauter Bibelstellen zusammengesetzt zu sein scheint.

Das Meer bewegt sich mit einemmal, ganz ohne ersichtlichen oder spürbaren Grund, nur eine leise Bewegung, einige gurgelnd-plätschernde Wellen schlagen an den Strand, der hier mit Felsen durchsetzt ist, und verzischen leise mit einem Geräusch, das an prickelnde Limonade erinnert (Limonade, Coca Cola, קאקא קאלע). Plastikerzeugnisse, um einen Naturvorgang zu beschreiben, warum nicht umgekehrt: frisch geöffnete Coca-Cola-Dosen verprickeln ein Geräusch wie sanfte Meereswellen, die zischend auf Felsen schlagen (oder so ähnlich).

(...)

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Freitag,
9. Februar 2018



Berge um Bardou, Februar 2018
      Berge um Bardou im Winter
  Mitten in den winterlichen Bergen unterhalte ich unpassende Gedanken ans Meer:

401 vor Christus

Thálatta! Thálatta! riefen zehntausend griechische Söldner, als sie auf ihrem Rückweg vom Feldzug gegen die Perser nach langem, beschwerlichem Marsch das Meer erblickten. Man hatte eine Hügelkette vor Trapezunt am Schwarzen Meer erreicht, und der Anblick der endlosen Wasserfläche erschien den Soldaten wie ein Vorbote der lang entbehrten Heimat.


Februar 1984

Dapta! rief unsere vierzehn Monate alte Tochter, als wir mit dem Auto eine Anhöhe überquerten und das Meer vor uns lag. Wir verbrachten den Winter auf Mallorca, am Vortag hatte es kräftig geregnet, das Wasser war vom Dach auf den Boden getropft, hatte Pfützen gebildet, in denen die Tochter begeistert herumpatschte. Der Regen hatte ihr ein neues Wort beschert: Dapta, Wasser.



Uraltes Wehn vom Meer,
Meerwind bei Nacht:
   du kommst zu keinem her;
wenn einer wacht,
so muss er sehn, wie er
dich übersteht:
    uraltes Wehn vom Meer …
(Aus dem Lied vom Meer von Rainer Maria Rilke)


  Thalatta, Thalatta (Dapta)
      Thálatta! Thálatta! (beziehungsweise: Dapta!)
     
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Montag,
5. Februar 2018
Den heutigen Tag, den 5. Februar 2018, nennen die Medien ein "spezielles Jubiläum" ( DLF). Heute ist die Berliner Mauer genauso lange weg, wie sie einst da war, nämlich 10.315 Tage. Man spricht vom Zirkeltag.

Als ich mir diese Tatsache bewusst gemacht habe, war ich erstaunt: Der Mauerfall ist doch noch nicht so lange her (eine Alterserscheinung). Die Zeit zwischen dem Bau der Mauer und ihrer Öffnung kommt mir dagegen richtig lang vor. 28 Jahre halt. Ich erinnere mich an den Sommer 1961. Ich war 13 Jahre alt, war mit meiner Mutter in den Sommerferien nach Finale Ligure gefahren. Wir wohnten auf einem Campingplatz, und ich schmückte unseren Bungalow mit Chiantiflaschen in Bastkörben. Ich hatte schon begonnen mich für Politik zu interessieren, und als die deutschen Zeitungen die Nachricht vom Bau der Mauer brachten, glaubte ich, das einigermaßen einordnen zu können. Man war schockiert.

August 1961, Finale Ligure
      Am Strand bei Finale Ligure, August 1961

      Chiantiflasche
      Chiantiflasche. Damals.

 
Berliner Mauer, Bernauer Strasse 1973 Brandenburger Tor, 1961 DPA-Eilmeldung zum Mauerfall, 9.11.1989 "East Side Gallery"
Grenzstreifen mit Hinterlandmauer, Blick von einer Aussichtsplattform an der Bernauer Straße (West) zur Eberswalder und Oderberger Straße (Ost), 1973 Brandenburger Tor, 1961 DPA-Eilmeldung zum Mauerfall, 9.11.1989 "East Side Gallery"
s.a.:
   
      DDR-Sondermarke zum 10. Jahrestag des Mauerbaus
      1971 feierte die DDR den zehnten Jahrestag des Mauerbaus mit einer Sonderbriefmarke

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Montag,
22. Januar 2018
Angesichts der politischen Lage im Nahen Osten führt man auch in Frankreich eine Debatte um das Asylrecht. Dazu bringt die Monde Diplomatique in der Januarausgabe einen historischen Rückblick auf das Jahr 1938. Damals kam eine große Anzahl Verfolgter ins Land, vor allem aus Spanien, wo man vor der sich etablierenden Franco-Diktatur floh, und aus Deutschland, wo es für Juden und Nazigegner lebensgefährlich wurde.

Der Artikel beschreibt die Stimmung im Land, die zunehmende Hetze von Seiten der Presse gegen die "unerwünschten" Einwanderer, die äußerst repressiven Maßnahmen der Regierung, aber auch die große Zahl der Menschen, die sich mit den Geflüchteten solidarisierten. Sie erinnerten an Frankreichs liberale und humanitäre Tradition.

Die Einleitung zu einer Verordnung vom 14. Mai 1938 lautet:
Die unablässig wachsende Anzahl der in Frankreich ansässiger Fremder erfordert seitens der Regierung, ausgestattet mit Gesetzesbefugnis für einem scharf umrissenen Bereich, den Erlass gewisser Maßnahmen, die auf Grund der Sorge um die nationale Sicherheit, die allgemeine Wirtschaft des Landes und den Schutz der öffentlichen Ordnung zwingend erforderlich sind.
Die Verordnung trifft unter anderem die Unterscheidung zwischen "Fremden guten Willens" und "unerwünschten Ausländern", also solchen, die sich "unserer Gastfreundschaft unwürdig erweisen" Diese Formulierungen eröffneten der Willkür der Einwanderungsbehörden und der Fremdenpolizei freie Bahn.

Auf der anderen Seite gab es viele Initiativen, vor allem von Künstlern und Intellektuellen, wie auch von der politischen Linken, die sich mit Flüchtlingen und Exilierten solidarisch erklärten.
 
Spanische Flüchtlinge
 bei der Ankunft in Luchon (Pyrenäen) am 3. April 1938 Bestimmungen zum Fremdarbeiterausweis Warteschlange vor dem Polizeipräsidium in Paris Artikel von M. Paz "Frankreich – Land des Asyls"
Spanische Flüchtlinge bei der Ankunft in Luchon (Pyrenäen) am 3. April 1938 Bestimmungen zum Fremdarbeiterausweis (Übersetzung s.u.) Warteschlange vor dem Polizeipräsidium in Paris am 31. Mai 1938 Artikel von M. Paz: "Frankreich – Land des Asyls", erschienen am 31. Juli 1938 in "Le Populaire")*
   
 

Übersetzung der Informationen zum Fremdarbeiterausweis, ausgestellt vom Arbeitgeber, der Bergbaugesellschaft in Roche-la-Molière und Firminy (Dépt. Loire):

Kennkarte für ausländische Arbeiter

Ausländische Arbeiter werden hiermit informiert, dass in Anwendung der neuen Bestimmungen, sie im Bergwerk nicht länger beschäftigt werden können, wenn ihre Kennkarte nicht absolut den Regeln entspricht.
Die neue Gesetzgebung verlangt die Erneuerung der Karte innerhalb der drei Monate vor ihrem Ablaufdatum.
Ausländer, die aus Nachlässigkeit ihre Situation nicht innerhalb dieser Frist in Ordnung gebracht haben, haben mit einer Geldstrafe zwischen 100 und 1000 Francs sowie mit Haft zwischen einem Monat und einem Jahr zu rechnen.

Firminy, den 2. November 1938    Die Direktion




)* Unterschrift unter der Zeichnung: Die Aufregung hat sich in angsterfülltes Warten verwandelt.
   
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Freitag,
19. Januar 2018
Großbritannien hat laut Spiegel online (und anderen Medien) ein Ministerium für Einsamkeit eingerichtet. Die Staatsekrärin Tracey Crouch, die unter anderem für Sport zuständig ist, soll sich um die Einsamen im Land kümmern. Laut einer Erhebung des Roten Kreuzes sollen sich neun Millionen (von sechsundsechzig Millionen) Briten immer oder häufig einsam fühlen, das sind 14 Prozent der Bevölkerung.

Hat man sich auch die Frage gestellt, wie es dazu kommt? Ist man bereit (und in der Lage), gesellschaftliche Strukturen zu verändern? Ich habe meine Zweifel. Mich erinnert die Maßnahme der britischen Regierung an die regelmäßigen Armutsberichte der Bundesregierung, die seit 2001 veröffentlicht werden: Man stellt eine Entwicklung fest, schreibt Berichte dazu und es ändert sich – nichts. Im Gegenteil: Die relative Armut ist in Deutschland von 12,7% im Jahr 1998 auf 16,7% 2014 angestiegen85. Vielleicht findet sich bei uns ja auch noch ein unterbeschäftigter Sport-Staatsekretär, der sich das Thema mal anschauen möchte.

Und den Armutsbericht sollte man vielleicht in Armutszeugnis umbenennen.


85 Quelle: Wikipedia

siehe auch Statistisches Bundesamt
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Mittwoch,
17. Januar 2018
Wieder etwas aus meiner Frühstückszeitung, der Monde Diplomatique:

Man befasst sich in einem sehr ausführlichen Artikel ("Von Warschau bis Washington, ein verkehrter Mai '68") mit der Europäischen Union, der Rolle Deutschlands und vor allem mit den osteuropäischen Ländern, den Visegrád-Staaten. Der Artikel endet mit der Erwähnung einer Rede des ungarischen Premierministers Viktor Orbán:
In Erinnerung an den Zusammenbruch des Ostblocks gebrauchte der ungarische Premier im Juli 2017 in der Sommeruniversität von Baile Tusnad in Rumänien folgende Worte: "Hier in Mitteleuropa waren wir vor siebenundzwanzig Jahren überzeugt, dass Europa unsere Zukunft sein würde; heute haben wir das Gefühl, dass wir die Zukunft Europas sind". Denn, so ist er überzeugt, "die bequeme, warme, sozialliberale Welt, in der 'wir alle im selben Stall blöken' kommt an ihr Ende."

Ein autoritärer Kapitalismus gegen einen liberalen, das wäre die ideologische Alternative, die sich ein halbes Jahrhundert nach dem Mai '68 stellt. Ein verkehrter Mai '68?


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Freitag,
12. Januar 2018
Lüste

Neue Lektüre zum (eigentlich schon abgeschlossenen) Projekt. Ich blättere, lese ein paar Seiten und lege das Tagebuch drauf – und das Thema verwandelt sich ...



Die Lust am Busen
  ... ah, alles in Ordnung. Das Böse kehrt zurück.   Die Lust am Bösen
      Lüste
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Mittwoch,
10. Januar 2018
Gute Nachrichten, wohin man schaut und hört: Der türkische Präsident Erdogan hat erklärt, sein Land, die Türkei sei heute "in Sachen Pressefreiheit, Kommunikations-Technologien, soziale Medien und Internetjournalismus eines der führenden Länder der Welt". Großartig.

Da wir außerdem seit ein paar Tagen wissen, dass in den USA mit Donald Trump ein "sehr stabiles Genie" regiert, brauchen wir uns um um diese beiden Länder schon mal keine Sorgen mehr zu machen. Was beneiden wir sie um ihre Präsidenten!

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  Ich möchte meine Leser auf einen schönen Blog aufmerksam machen: Rätsels Bewohner (Themen siehe rechts). Für Hamburger: im S-Bahnhof Jungfernstieg hängt an Gleis 1 ein Schaukasten mit Gedanken aus dem Blog. Themen bei Rätsels Bewohner  
      Themen bei "Rätsels Bewohner"
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Freitag,
5. Januar 2018
Die alten Tagebücher

8. April 1980

Die alten Tagebücher sind gut geeignet, um mit ihnen auch das Neue Jahr zu beginnen. Die Situation ist noch dieselbe wie beim letzten Mal, am Strand von Nueba (Sinai).
(...)

C. sieht sich von mir vernachlässigt. Ich merke, daß ich mich oft auf mich selbst zurückziehe, sobald ich mich an einem Ort wohl und zuhause fühle. Baue eine Art Selbstgenügsamkeit auf, unter der die Beziehung leidet, fühle mich zuweilen auch von ihr eingeengt. Weiß gleichzeitig, daß das vorübergeht.

Der leichte Wind hat auch lästige Eigenschaften: ich bin es lieber selbst, der die Seiten umblättert. Was wirklich an die Nerven geht, sind die dreisten Fliegen. Sie scheinen von Tag zu Tag zahlreicher zu werden. Glaube mit Autan leichten Erfolg zu haben.

Ab heute keine Badehose mehr an, der weiße Hintern leuchtet jetzt.

(Autan verklebt den Kugelschreiber, dazu Sand, ekelhaft) Habe nur noch ganz starken Tabak zum Rauchen, Van Nelle zware shag ("special quality"), ein fürchterliches Kraut, gäbe es nichts anderes, wäre das Rauchenaufgeben ein geringes Problem.

(...)

Gestern abend eigenartiges, leicht deprimierendes Erlebnis: War mit Tom verabredet, um im Supermarkt des Moshav einkaufen zu können, an dem Tor, wo er letztesmal reingegangen ist. War da, an einem Tor, und gerade zur ausgemachten Zeit war ich plötzlich (nein, nicht plötzlich, es war nur der Schluß einer Kette von Zweifeln) der Überzeugung, es könne nicht das richtige Tor sein, vor dem ich da warte. (Der Platz hier ist groß und kompliziert.) Fragte einen, der da rumstand, nach dem Haupteingang zum Moshav, er beschrieb mir den Weg, ich hin, das war natürlich ein völlig anderes Tor, konnte auf keinen Fall das gemeinte sein, ich wieder zurück, unterwegs zur Orientierung noch zu einem kleinen Seiteneingang, als ich zurück war, war es fast 1/4 nach 7, eine halbe Stunde über der Zeit. Fragte die Wache am Tor nach Tom, nichts. Inzwischen bin ich sicher, dass das doch das richtige Tor war. Ich dachte immer, daß solche Sachen immer nur anderen Leuten passieren würden, ich sei dafür zu gründlich und vorsichtig. Dachte, dass ich alt werde.

(...)

Ein Beduine mit einem Kamel kommt vorbei, ein junger Mann in einem angeschmutzten langen weißen Gewand, hält mir eine Melone hin, will mir welche verkaufen. Der Preis hamesch (5) lirot, ich will drei kaufen, suche nach dem Geldbeutel und mir fällt ein, daß ihn C. mitgenommen hat. Ich mache es ihm bedauernd klar, er versteht, setzt sich aber trotzdem zu mir, fragt mich nach einer Zigarette, ich biete ihm den Tabak an, drehe mir selbst auch eine.

Ein Militärwagen fährt vorbei, "Ischraelim!" sagt er verächtlich, ich sage, yes, militär, er fragt mich: good? ich verneine, wir sind gleicher Meinung: not good! Ich drehe ihm noch eine zum Mitnehmen, er schenkt mir die Melone, die er mir zuerst gezeigt hatte, dann steht er auf, geht weiter: "shalom" – "shalom".

Gerade nochmal im Wasser gewesen, ca. 1/2 Stunde bevor die Sonne hinter den Bergen untergeht (– diese Fliegen scheuen sich nicht, einem in die Nasenlöcher zu kriechen!). Da war der Löwenfisch von heute morgen wieder, an der selben Stelle. Er lauert an dem kleinen Felsabsturz, nahezu unbeweglich und vollkommen ohne Scheu, wenn man sich ihm nähert: ich bewege unter Wasser meinen Fuß auf ihn zu, er zuckt nur leicht zurück, weicht höchstens einen Meter aus, kehrt dann sehr langsam wieder zurück. Denke, daß ich selten ein so schönes Tier gesehen habe: Er ist etwa 25 cm lang, seine Grundfarben sind braun und weiß. Der eigentliche Körper beträgt vielleicht 15 cm, gestreift wie ein Zebra und kantig geformt wie bei den Kofferfischen, er hat zwei große, ruhige schwarze Knopfaugen, mit langen fühlerartigen Stielen darüber, die wie Hörner nach oben stehen, ebenso, kleinere, unter dem Maul. Der Schwanz ist fast größer als der Körper, dreigliedrig und durchsichtig, seidenartig, mit runden braunen Punkten. Aber das Prächtigste sind seine Seitenflossen, beide ebenso groß wie der ganze übrige Körper, sie bestehen aus etwa einem Dutzend federartiger Blätter, sind weit vom Körper abgespreizt, ebenfalls braun-weiß gemustert und sehen auf den ersten Blick wie enorme Stacheln aus. Er hat seinen Namen sicher daher, daß ihn dieser Schmuck wie eine gewaltige Mähne umgibt. Er sieht sehr gefährlich aus, und seine betont langsamen Bewegungen, sein Lauern und seine offensichtliche Furchtlosigkeit unterstreichen diesen Eindruck von Gefährlichkeit.

Er war nicht weit unter der Oberfläche, so konnte ich mit der Brille halb unter Wasser gehen und ihn aus nächster Nähe klar betrachten.

(...)

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  Es lohnt sich wieder, das Himmelstagebuch aufzuschlagen: Ein ständig wiederkehrendes Wetterphänomen ist der Streifen voller Licht, draußen über dem Meer, während bei uns in den Bergen der Himmel bewölkt ist.
 
 


4.1.2017, 17 Uhr 00
  4.1.2018, 17 Uhr 00
  5.1.2018, 17 Uhr 17   5.1.2018, 17 Uhr 17
       

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