WERNERS BLOG

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  Zeichnung: Wilhelm Busch


Sonntag,
8. Juli 2018
Ein Wochenende (kein besonderes) in der Kratzbürste



 
Samstagmittag im Hof Samstagnachmittag im Hof Public viewing
Samstagmittag im Hof: Eis für alle Samstagnachmittag im Hof (schon wieder alle beim Feiern) Kratzbürsten-Public-viewing. Das Spiel England gegen Schweden findet nur sehr wenige Zuschauer
   
 
Sonntagmorgen: Schreck im Garten Bienenumzug 'sterzelnde' Bienen Silphie und Karde
Sonntagmorgen, Schreck im Garten: einer der alten Apfelbäume liegt am Boden. Er hat noch viele Wurzeln, wir lassen ihn erst mal so, vielleicht reifen die Äpfel noch aus. Bienenumzug. Die Bienenhaltung soll auf ein neues System umgestellt werden: von Zander auf Dadant (siehe hier). Unruhige Zeiten für die Bienen und den Imker. Hier scheint der Umzug geklappt zu haben: "sterzelnde" Bienen am Flugloch der neuen Beute (bedeutet: die Königin ist hier drin, kommt alle her!). Unterdessen wachsen die Silphie (Silphium perfoliatum) und die Karde (Dipsacus fullonum) in den Himmel. Beide haben schon zwei Meter erreicht (in diesem Jahr wächst alles wie blöd).
   
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Mittwoch,
27. Juni 2018
Zwar liegt mein derzeitiges Schreibprojekt auf Eis, aber Bücher zu lesen, die damit in Zusammenhang stehen, geht immer mal, zwischendurch. Gerade lese ich Perrudja, von Hans Henny Jahnn. Meine literarische Fundstücke versammle ich in einer neuen Serie, siehe links (im Menü): Literarische Perlen.


Hier ein Ausschnitt aus "Perrudja", Jahnns erstem Roman aus dem Jahr 1929 (s.a. Wikipedia)

Die Kuhmagd Lina war die abweisende inbrünstige Geliebte eines jungen Mannes. Sie roch auch in ihren Festkleidern nach dem Stall. So durften Verehrer den Geruch der Pferde an sich haben oder des mehligen Schweißes. Sie waren geringe Menschen. Und ihre Versuche zur Liebe waren klein und alltäglich und sehr direkt, doch schön wie gemeine Blumen, die zumeist gelb an Farbe sind, und nur wenige Tage überdauern. Lina war kaum zwanzig Jahre alt und sehr anmutig. Sie besuchte die Versammlungen der Pfingstgemeinde und die der Heilsarmee. Trotz dieser Neigung war sie nicht fromm. Sie ging nicht zu ihrer Erbauung, um ihres Vergnügens willen ging sie in die Versammlungen. Wie andere zu Tanz und Festen. Sie war musikalisch und liebte es zu singen. Sie vermochte Mund- und Ziehharmonika zu spielen, wiewohl sie keines dieser Instrumente besaß und nur bei seltener Gelegenheit nach Gehör und Neigung üben konnte. Den Reden, die die frommen Brüder- und Schwesterschaften über die Zugelaufenen ergossen, verschloss sie die Ohren.89
89 JAHNN, Hans Henny: Perrudja, Frankfurt am Main und Hamburg 1966, S. 125 f.
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Sonntag,
24. Juni 2018
Aus den Nachrichten gefischt: Mit Interesse höre ich, dass der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag von Andrea Nahles, der SPD-Chefin, verlangt, sie solle sich bei Donald Trump entschuldigen. Jetzt bin ich gespannt: was hat sie denn gesagt? (Kann eigentlich nur etwas Richtiges gewesen sein.)

Die (inzwischen auf Druck der internationalen Öffentlichkeit zurückgenommene) Praxis, die Familien, die unerlaubt die mexikanisch-US-amerikanische Grenze überschreiten, auseinanderzureißen, hat Nahles dazu veranlasst, Trump einen "Lump" und einen "Feigling" zu nennen. Jetzt frage ich mich, wieso die FDP dazu kommt, eine Entschuldigung für das Aussprechen der Wahrheit zu fordern. Ich muss gestehen, dass ich nie ein großer Freund von Frau Nahles war, aber in diesem Fall gehört, wie man so sagt, ein grober Keil auf einen groben Klotz. Eine deutliche Sprache ist eine Zier für PolitikerInnen.



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Samstag,
23. Juni 2018
Die alten Tagebücher

22. April 1980

Zwei Tage nach der Ankunft in Kairo
(...)

Eine Art Schnellrestaurant entdeckt, wo es ein Einheitsgericht für 15 Piaster gibt (45 Pfennige), bestehend aus: Reis, Nudeln, Fleischresten, etwas Zwiebeln, alles zusammen angebraten, mit scharfen, guten Gewürzen. Dann großes Bier in einen Café gegenüber dem Hotel. Die Ober schauen aus wie von der Julius-Meinl-Kaffeereklame: Lange weiße Gewänder mit dunkelrotem hohem Gürtelband, dazu ein dunkelroter Fez mit Quaste, gutaussehende, dunkelhäutige Männer. Dazu Fächerpalmen in Töpfen – sehr orientalisch. Auch Spaziergang in etwas "anatolischere" Viertel gewagt, es gibt sie natürlich doch, zu Hauf sogar. Da wird man als Europäer gleich wieder etwas unsicherer.

(...)

Leichte Verdauungsbeschwerden, Bauchzwicken und etwas Durchfall, nehme es nicht allzu ernst, ist wohl normal. Nachmittag im Ägyptischen Museum verbracht, eine Rumpelkammer voller Schätze. Stinkteures Bier bzw. Mineralwasser dort getrunken.

Das ständige Angeschaut- und auch Angequatschtwerden stört manchmal sehr (allerdings nicht so wild wie in der Türkei, aber durchaus mit Rom zu vergleichen).

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Donnerstag,
7. Juni 2018
Da war es wieder in den Nachrichten, das Wort von der Parallelgesellschaft. Ein AfD-Abgeordneter hat es in der Bundestagsdebatte über den Familiennachzug von Flüchtlingen gebraucht. Mit der geplanten Neuregelung würden "die Schleusen für Flüchtlinge" noch weiter geöffnet (Achtung: Flut-Metapher!), so dass Parallelgesellschaften entstünden.

Ja, wo lebt denn der gute Mann – etwa nicht in einer Parallelgesellschaft? Auch ich habe die meiste Zeit meines Lebens in solchen zugebracht: in der P. der Biogärtner, derjenigen der Bardou-Bewohner und -Liebhaber oder jetzt in der Mikroparallelgesellschaft der Kratzbürste.

Wir alle leben in Parallelgesellschaften. Es heißt nichts anderes, als dass man sich seine Umgebung und seine Mitmenschen selber wählt und so lebt, wie es einem angemessen und angenehm ist (ohne andere in ihren Rechten und ihrer Freiheit zu beeinträchtigen, versteht sich). Es existieren Dutzende, wenn nicht Hunderte von parallelen sozialen Biotopen im Land: die AfD und ihre Nachläufer bilden ebenso eine Parallelgesellschaft wie die CSU-Stammtischbrüder in Bayern oder geflüchtete Familien aus Syrien. Das Bild einer gleichförmigen, konformen Gesellschaft ist ein Trugbild, ein Wunschbild. Ein Zerrbild gar.

Nicht auf die Zugehörigkeit zu Gruppen, auf den Umgang miteinander kommt es an.



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Mittwoch,
30. Mai 2018
Spatzen haben keinen guten Ruf. Sie sind laut und aufdringlich und hier in der Kratzbürste fallen sie als Geschwader in unser Hühnergehege ein und fressen den Küken das Futter weg. Oder sie besetzen die Weinranken auf der Terrasse, und alles, was drunter ist – Sonnenschirm, Topfpflanzen, Tisch und Stühle – wird von ihnen nach Kräften vollgesch ... So käme niemand auf die Idee, ihnen einen besonderen Schutz zu gewähren.

Aber dann: mitten auf dem Weg, wo ständig die Katzen patrouillieren, liegt ein aus dem Nest gefallenes Junges. Ja, sagt die Mitbewohnerin, da liegen öfter welche, tot allesamt. Dieses aber lebt offenkundig, hat den Sturz aus zehn Metern Höhe überlebt. Und auf einmal wendet sich das Blatt, der Beschützerinstinkt meldet sich. Nur: was tun mit dem winzigen Wesen? Ins Nest zurück? Geht nicht, da reicht keine Leiter hin. Irgendwie aufpäppeln? Womit? Es sperrt den Schnabel nicht auf, und wer weiß, was das Kleine fressen könnte.

Wir lassen es sein. Ich bereite ihm in einem Sandkastenförmchen einen Nestersatz aus gerade zusammengekehrten verwelkten Geißblattblüten, stelle das Gefäß an geschützter Stelle auf die Terrasse (immer noch sechs bis sieben Meter unter dem Nest der Geschwister) und hoffe auf ein sanftes Erlöschen des gerade auf die Welt gekommenen kleinen Lebens.

 
Spatzenrevier Weinranken Warum man Spatzen auf der Terrasse nicht schätzt Aus dem Nest gefallenes Spatzenjunges Behelfsnest und Sterbebett Spatzennest unter dem höchsten Dach der Kratzbürste, dem Turm
Spatzenrevier Weinranken Warum man Spatzen auf der Terrasse nicht schätzt Aus dem Nest gefallenes Spatzenjunges Behelfsnest und Sterbebett Spatzennest unter dem höchsten Dach der Kratzbürste, dem Turm
   
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Montag,
21. Mai 2018




Bilder von unterwegs

Gefährliche Gegend – sieh dich für!
Sieh dich für!
      Sieh dich für!
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Die alten Tagebücher

Weiterhin der Eintrag vom 20. April 1980 (Fortsetzung von )

Der erste Tag in Kairo. Ein ägyptisches Pfund (= 100 Piaster) hatte einen Gegenwert von etwa 2,50 DM.

Fühle mich bei der Ankunft also (überraschend) wohl, die Furcht vor dem Anatolischen ist verflogen, eher Vertrautes um uns. Die Suche nach Hotels nochmals kompliziert, weil der Bus doch nicht so nah hält wie erhofft, kurze Taxifahrt, und wir steigen vor dem Hotel Claridge ab, das der Hilfreiche erwähnt hatte: Großes, großstädtisches herrschaftliches Mietshaus, leicht angestaubt, düster, Vergleiche mit Roms scheußlichen Pensionen in der Gegend um den Bahnhof Termini. Hotel im 3. Stock. Am Empfang ein älterer Mann, humorvoll, freundlich, alles sehr gut. Zimmer groß (Nr. ٢٤ – 24), 4 Pfund, Eiswasser für unsere völlig verklebten Kehlen, dann das große Aufs-Bett-Fallen. Ich dusche mich noch, dann gehen wir etwas essen, wir sind auch völlig verhungert. Eckrestaurant, vorher noch ägyptische Zigaretten gekauft (aus einer Auswahl die Marken "Nefertiti" – 20 Stück 31 Piaster – und "Cleopatra" – 10 Stück 15½ Piaster – ausgesucht). Shish Kebab mit Reis bzw. Rindfleisch mit grünen Bohnen (C.), dazu riesige (teure) eiskalte Biere reingestürzt, der ganze Stress löst sich wohlig auf.

Leider können wir kein Bier mitnehmen, dem Restaurant ist Straßenverkauf untersagt, nur eine Flasche Wein zu 2 Pfund 46 wird uns angeboten, das ist uns zu teuer.

Trotzdem: gut, sehr gut, dieser erste Tag in Ägypten, in Afrika.

Musste den ganzen Tag praktisch nicht aufs Klo, obwohl ich seit der Abfahrt mindestens 4 Liter Flüssigkeit getrunken habe. Schlecht für die Nieren.

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Dienstag,
8. Mai 2018
Die alten Tagebücher

Immer noch Eintrag vom 20. April 1980 (Fortsetzung von )

Wir sind auf der Fahrt im Taxi durch den Sinai, über den Suezkanal nach Kairo.
Weiterhin der Hamsin-Terror, ein bisschen Wasser macht die Runde (vorhin, bei der ersten Fahrt schon eine dringende Cola-Pause gemacht, wir waren völlig vertrocknet! und ein viel zu teures halbes 7up am Kanal – 0,50 Pfund), einige Zigaretten vom Fahrer, wir überleben gerade so.

Wir erreichen Kairo bei Dunkelheit, kommen am Flughafen vorbei - eine Maschine startet gerade, man glaubt, eine El-Al-Maschine zu erkennen.

Wegen mangelnder Lizenz nicht ins Zentrum, wir steigen aus, Abschied von unseren hilfreichen Mitfahrern, und an der nächsten Ecke gleich nochmal ein kaltes Cola zischen. ("Coca Cola" auf arabisch sieht nicht so schön aus wie auf hebräisch).

Ein junger Ägypter – Archäologiestudent – spricht uns an, ist uns bei der Suche nach dem richtigen Bus zur Innenstadt behilflich, schreibt uns Hotels auf arabisch auf einen Zettel – ein äußerst freundlicher, liebenswürdiger Empfang. Die Stadt ist ganz und gar nicht "anatolisch", wie ich so sehr befürchtet hatte, eher vergleichbar mit Rom oder Athen, auch Barcelona, nur viel, viel größer. Kairo soll etwa zehn Millionen Einwohner haben.

"I hope you will see the difference between Israel and Egypt", damit verabschiedet sich der Student. Seine freundliche Hilfsbereitschaft war schon der erste – große – Unterschied. Dazu ein paar bayrische Sätze ("a hoaßa Tä", "Krampfhenna", "schmatz koan Schmarrn") die ihm wohl ein Bayer beigebracht hatte, waren seine zweite Überraschung.
( Fortsetzung)
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Dienstag,
1. Mai 2018
Aus den Nachrichten gefischt:

Im Radio höre ich: Israels Premierminister Netanjahu hat in Tel Aviv Dokumente vorgestellt, die ein umfangreiches geheimes Atomwaffenprogramm des Iran belegen sollen. Nach dem Abschluss des Abkommens habe das iranische Regime die Pläne an einen geheimen Ort gebracht, um sie dort für eine spätere Verwendung aufzubewahren.

Das erinnert mich an die Begründung des Irakkriegs durch die USA im Jahr 2003. Die US-Regierung unter Gorge W. Bush verbreitete die (gefälschte) Nachricht, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besitze, deren Einsatz man durch einen Angriff zuvorkommen müsse. Fake News waren schon immer eine Spezialität amerikanischer Präsidenten. Als tatsächliche Kriegsgründe vermutet Wikipedia geopolitische und wirtschaftliche Interessen westlicher Staaten – die Amerikaner haben ja nicht als einzige den Irak angegriffen: es gab die Koalition der Willigen (ca. fünfzig Länder, darunter Großbritannien und fünfzehn weitere europäische Staaten). Die Zahl der getöteten Zivilisten wird auf bis zu 650.000 geschätzt.

Der einzige, der Netanjahu uneingeschränkt glaubt, ist Donald Trump. Er sagte in Washington, die Präsentation Netanjahus habe gezeigt, dass er mit seiner Meinung über den Iran recht gehabt habe.

Ausgerechnet dieses Gespann: Trump, der Herr der Fake News, und Bibi Netanjahu, der seit zwanzig Jahren immer wieder mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert ist, also diese beiden wollen der Welt einreden, der Iran lüge, was Atomwaffen angehe. Es mag sein, dass der Iran seine unsauberen Geheimnisse hat, dann würde ich das aber gern von anderer, glaubwürdiger Seite erzählt bekommen.
Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bei seiner Präsentation zu einem (nach seiner Darstellung) iranischen Atomwaffenprogramm
      Israels Premierminister Benjamin Netanjahu bei seiner Präsentation zu einem (nach seiner Darstellung) iranischen Atomwaffenprogramm (© Sebastian Scheiner/AP/dpa, veröffentlicht am 30.4.2018 auf der Seite des Deutschlandfunks)
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Samstag,
28. April 2018
Abends gegen neun schalte ich (beim Abspülen) das Radio ein, ich denke: Samstagabend, DLF, da läuft wahrscheinlich ein Hörspiel, mal reinhören. Und richtig: was ich höre, ist ein ziemlich atemloses, exaltiertes, aber gut gespieltes, weil sehr realistisch klingendes Gespräch zwischen Kritikern oder Rezensenten über ein mir abstrakt erscheinendes Thema, vielleicht ein Buch oder Theaterstück. Hat etwas Faszinierendes in seiner Absurdität. Erst als ich etwas länger zuhöre, merke ich, dass es sich bei dem Gerede um ein real stattfindendes Kritikergespräch über den Roman Prawda. Eine amerikanische Reise von Felicitas Hoppe handelt.

Realsatire. Ein abschreckender Spiegel des gegenwärtigen deutschen Literaturbetriebs. Da hilft nur der Abschaltknopf – schade um den Roman.



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Dienstag,
24. April 2018
Der Winterschlaf ist zu Ende, meine letzte Arbeitssaison beginnt. Der Schwarzwald ersetzt wieder die südfranzösischen Berge. Auch das Schreiben ( Buch über nichts) zieht sich (vorübergehend) Schritt für Schritt zurück. Zum Schluss der Schreibsaison noch zwei literarische Perlen aus der Sammlung, die zu diesem Projekt gehört, beide von Robert Walser:

(Ebenfalls langsam zu lesen, wie beim letzten Mal)

1) Aus der Kurzprosa "Winter" (1919)
Da strahlt der Weihnachtsbaum, d.h., mehr die Kerzen, die die Stube mit einem Frömmigkeits- und Schönheitsglanz erfüllen. Welcher Liebreiz! Die Tannenzweige sind mit Naschwerk behängt. Zu nennen sind Engelchen aus Schokolade, zuckrige Würstchen, Basler Leckerli, in Silberpapier gewickelte Walnüsse, rotbackige Äpfel. Um den Baum sind die Familienglieder versammelt. Die Kinder sagen auswendiggelernte Gedichte auf. Nachher zeigen ihnen die Eltern ihre Geschenke, etwa mit den Worten: "Bleibe brav, wie du es bisher warst", und küssen das Kind, worauf das Kind die Eltern küsst und vielleicht alle, bei so schönen Umständen und tiefempfundenen Dingen, eine Zeitlang weinen und einander mit zitternder Stimme Dank sagen und kaum wissen, warum sie’s tun, es aber richtig finden und glücklich sind. Sieh, wie mitten im Winter die Liebe strahlt, die Helligkeit lächelt, die Wärme glänzt, die Zärtlichkeit blitzt und alles Hoffenswerte und Gütige dir entgegenleuchtet.87
Da denkt man an Gerhard Polt. Das Stück endet mit dem Satz:
Wie schön ist’s, dass dem Winter jedesmal der Frühling folgt.


2) Aus der Kurzprosa "Kindliche Rache. Ein Miniaturroman" (1926)
Mit der Zeit sah er sich jedoch genötigt, neuerdings zu heiraten, und da es für ihn am bequemsten war, dass er sich diesbezüglich auf seine Magd besann und sich mit ihr einließ, die die wundersamsten blauen Augen besaß und sich überdies im Besitz einer Fülle rostgelber oder –brauner Haare wusste, auch einen Mund aufwies, der sich zu Zärtlichkeitsoffensiven trefflich zu eignen schien, so machte er kurzen Prozess und ehelichte sie nach Verlauf von so und so viel Zeit. Sie erhielten beide ein Etwas, wovon sie sich glückstrahlend überzeugten, es sei ein Kind.88

87 WALSER, Robert: Winter, in: Träumen, Zürich und Frankfurt am Main 2002, S. 374

88 WALSER, Robert: Kindliche Rache. Ein Miniaturroman, in: Zarte Zeilen, Prosa aus Berner Zeit, Zürich und Frankfurt am Main 1986, S. 297 f.
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Montag,
16. April 2018
Seit einiger Zeit bekomme ich regelmäßigen Besuch von einem Mufflon. Es ist ein einzelnes weibliches Tier, das in der Abenddämmerung hier um die Häuser zieht. Ab und zu (heute Abend zum Beispiel) streicht aber auch eine ganze Herde durchs Gelände. Macht man die Taschenlampe an, kann man durch die Nacht galoppierende Lichter im Schein der Lampe erleben – absolut unfotografierbar, leider.



Besuch am Abend
      Besuch am Abend
  Einen gibt es, der sich über ihre Hinterlassenschaften freut:
der Waldmistkäfer (Anoplotrupes stercorosus – vielleicht)
  Waldmistkäfer (Anoplotrupes stercorosus?) in seinem Element
      Waldmistkäfer (Anoplotrupes stercorosus?) in seinem Element
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Donnerstag,
12. April 2018
Die alten Tagebücher

20. April 1980

Das Abenteuer, von dem im ersten Satz die Rede ist, war die Reise von Israel über die gerade wieder geöffnete Sinaigrenze nach Kairo. Israel gab den Sinai stückweise an Ägypten zurück, den es seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 besetzt hatte. Unsere Route: Yammit – Grenze Israel/Ägypten – El Arish – El Kantara (Suezkanal) – Ismailia – Kairo.
Kairo, 20. 4. 80

Das Abenteuer also hinter uns gebracht, erstaunlich gut bis jetzt. Ca. ½10 Uhr runter zur israelischen Grenzstation, Passkontrolle, ca. 1 Stunde in der Halle warten. Von dort fährt ein Egged-Bus für 10 IL zur ägyptischen Grenzstation, ein paar Minuten, wir passieren den Zaun im Niemandslandstreifen. Frage mich, ob sie den Zaun den ganzen Sinai hindurch bis Ras Muhammad gezogen haben. Wohl kaum.

Eine sehr schöne Palästinenserin aus Gaza, die mit Freunden und Familie unterwegs ist, spricht C. an, wir nehmen später mit ihnen dasselbe Taxi, was sehr hilft (Sprach-, Fahrpreisfragen fallen weg).

Zuerst aber anstehen zum Geldwechseln (nach kurzer Passkontrolle) im ägyptischen Grenzlager. Es ist brutal heiß, der Hamsin)* zieht drohend herauf, und als wir endlich nach ca. 1½ Stunden in der Sonne den Zwangsumtausch hinter uns haben (für beide DM 600 in Reiseschecks in 221½ ägyptische Pfund), bricht er mit aller Macht los. Als ob ein heißer Föhn plötzlich aufgedreht würde, es können wohl an die 40 Grad sein, die uns da anblasen. Die Fahrt im Taxi wird somit zum Horrortrip. Wir stecken zu neunt in einem Peugeot-Kombi, fahren die sandüberwehte Küstenstraße durch den Nordsinai auf El Kantara am Suezkanal zu. Armselige Dörfer zuweilen, aus Wellblech, Binsen und ähnlich einfachem Material zusammengebaut, machen sie in dem fahlen, von Sandsturm verdeckten Sonnenlicht einen trostlosen Eindruck. Dazwischen ab und zu Militärcamps, und sonst nichts als Sand, Palmen, Sand, Sand, Sand und Sturm.

Ich muss an Schneestürme auf Alpenpässen denken: dieselbe verschleierte Sonne, dasselbe Wehen über die Straße, das Durchfahren über verwehte Stellen, auf denen der Wagen schlingert und der Fahrer sein Können zeigen kann (er tut's!) – nur 50°C heißer! Und statt dem Weiß des Schnees das fahle Gelbbraun des Wüstensands.

Nach etwa drei Stunden erreichen wir El Kantara, den Suezkanal. Ich bin erschreckt über den Zustand der Stadt: Zerschossene Häuser überall, Ruinen, eigentlich gar keine Stadt mehr. Manchmal im Erdgeschoß Läden oder Cafés, wo es ganz normal zugeht, und oben, 1. Stock kaputt, 2. Stock nur noch halb oder gar nicht mehr vorhanden. Wie kann man so leben.

(Draußen vor dem Hotelfenster schreien sich gerade die Kater an)

Wir bezahlen den Fahrer (jeder 2,- äg. Pfund), dann steigen wir in das Boot, das uns ans andere Ufer dieses berühmten Kanals bringt. Drüben eine große Uhr, die dieselbe Zeit wie in Israel anzeigt – zwanzig vor sechs.

Wir, d.h. unsere Mitfahrgäste aus Gaza, verhandeln wieder mit einem Taxifahrer in einem Peugeot. Er hat offenbar keine Lizenz uns bis Kairo zu fahren. Darum müssen wir an der Kontrollstelle (Taxivereinigung oder sowas) auch behaupten, wir fahren mit ihm nach Ismailia (Stadt südlich am Kanal). Zweiter Checkpoint am Stadtrand glaubt ihm nicht, er muss umkehren, einen anderen Fahrer ans Steuer lassen, der beim Kontrolleur offenbar mehr Glaubwürdigkeit besitzt, denn diesesmal passieren wir unbeanstandet. Dieser Fahrer steigt nach ein paar Kilometern wieder aus, es geht weiter wie geplant.

)* Hamsin = Heißer Wüstenwind im Sinai

( Fortsetzung)
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  Wetterbericht    
 
Wetterbericht (1) Wetterbericht (2) Wetterbericht (3) Wetterbericht (4)
Wetterbericht 1 bis 4 (Nr. 4 öffnet neues Fenster)
   
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Sonntag,
8. April 2018
Einigen Mitgliedern von CDU und CSU sind ihre Parteien zu links, darum haben sie die "Werte-Union" gegründet. Die Gruppe betont unter anderem, "dass Ehe und Familie sowie das Leitbild Vater-Mutter-Kinder die wichtigsten Grundlagen der Gesellschaft seien".

Ich freue mich für alle Geflüchteten, deren Ehepartner und Kinder im Libanon, in der Türkei oder sonstwo festsitzen, darüber, dass die Union sich endlich für ihren Familiennachzug stark macht.

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  Uninteressantes aus Bardou:    
 
Wetterbericht Wetterbericht Dorfzoo
Wetterbericht Dorfzoo in der Abenddämmerung
   
       
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Montag,
2. April 2018
(Ostermontag)
Aus den Nachrichten gefischt:

Mein Radio erzählt mir, ein Gericht in Istanbul habe das Justizministerium aufgefordert, den in Deutschland lebenden Journalisten Can Dündar mit Hilfe eines internationalen Haftbefehls suchen zu lassen. Dündar war lange Zeit Chefredakteur der regierungskritischen türkischen Zeitung "Cumhuriyet". Das kommt ein paar Tage, nachdem die deutsche Polizei den katalanischen Ex-Regierungschef Carles Puigdemont festgenommen hat (und der Regierung damit ein massives politisches Problem beschert hat, während die Dänen und Finnen, durch deren Länder er gereist war, sich weise auf die Seite gedreht hatten: Ach, der P. war bei uns? Nein, sowas! Leider, leider ist er schon über die Grenze nach Deutschland ...)

Auf die Deutschen ist Verlass, wenn es um Vollstreckungen geht. Das wird sich auch Erdoğan gesagt haben, und hat gleich auch so einen Haftbefehl ausstellen lassen. Der Dündar ist in Deutschland, da kann nichts schiefgehen.

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Ostersonntag,
1. April 2018
Frohe Ostern!

Eigentlich war über Ostern schlechtes Wetter angesagt. Mir kommt es vor, als ob die Wettervorhersagen immer schlechter würden.

So sah's jedenfalls heute aus:
 
Der Pflaumenbaum am Hüsli treibt Blüten Die Quitten grünen Die Schwertlilien bereiten sich vor Und die Mimose weigert sich abzublühen
Der Pflaumenbaum am Hüsli treibt Blüten Die Quitten grünen Die Schwertlilien bereiten sich vor Und die Mimose weigert sich abzublühen
   
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  Heute morgen höre ich in die Sonntagsmesse im Radio rein, man weiß ja nie, vielleicht predigt einer was Taugliches. Aber: Nichts als Kindertheater mit Gsangl. Auch an Ostern nur die übliche Verjesuleinisierung der Religion.    
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